Silvana Koch-Mehrin – Vom Plagiat zur Petition zum Rücktritt
RelativKritisch hat sich mehrfach mit dem wissenschaftlichen Fehlverhalten von Politikern befasst, die sich mit dreistem Plagiarismus akademische Titel erschlichen haben, um sich in der Konkurrenz um Posten und Mandate einen karrierefördernden persönlichen Vorteil zu verschaffen. Im aktuellen Fall der FDP-Politikerin und Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin ist der Nachweis des vorsätzlichen Plagiierens offenbar nicht ausreichend, um die Betrügerin in die Schranken zu weisen. Offenbar ist es notwendig, dass engangierte Bürgerinnen und Bürger nachhelfen müssen, um via Petitionen der nassforschen Parlamentariern aus dem bequemen Sessel zu helfen, der ihr, durch europäische Steuermittel ausgepolstert, weich und bindend erscheint. Nach neuesten Presseberichten hat Koch-Mehrin inzwischen auf ihre Funktion als Vollmitglied im Forschungs- und Industrieausschuss des EU-Parlaments verzichtet, in den sie, auch gegen innerparteiliche Kritik, als Tauschgeschäft mit ihrem Parteikollegen Jorgo Chatzimarkakis rolierte, der ebenfalls durch Plagiatsvorwürfe belastet ist.
Der Bundesverteidigungsminister a. D., von Guttenberg, probte bekanntlich noch als Prototyp des „Karrieredoktoranden“, wie weit er sich gegen die kollaborative Webintelligenz behaupten könnte. Der sich anschliessende Fall war tief und endgültig. Guttenberg trat von allen Ämtern und Posten zurück, akzeptierte den Entzug des Doktorgrads durch die Universität Bayreuth und wird, trotz Rückhalts bei potentiell mächtigen Netzwerken, zunächst keinen unmittelbaren politischen Einfluss mehr ausüben können. Während der adelige Freiherr eine Lebensperspektive jenseits des politischen Mandats verpürt, sieht das bei den „Kollateralschäden“ des Guttenberg-Skandals offenbar anders aus. Die durch das Wiki „VroniPlag“ in den Fokus der Plagiatjäger gerückten Tochter des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, Veronika Saß, und die FDP-Politikerin und Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin, setzen sich mit allen Mitteln gegen den Entzug ihres akademischen Grads durch ihre Universitäten in Konstanz und Heidelberg zur Wehr.
Silvana Koch-Mehrin setzt in diesem Rückzugsgefecht ganz eigenwillige Standards. Sie schwieg zunächst zu den Plagiatsvorwürfen, trat von allen hervorgehobenen Ämtern und Funktionen zurück und igelte sich in ihrem Mandat, dem Sitz im Europäischen Parlament ein. Nach dem Entzug des Doktortitels durch den Promotionsausschuss der Universität Heidelberg ging die Hoffnungsträgerin der FDP dann in die Offensive:
Dass meine Doktorarbeit kein Meisterstück ist, weiß ich bereits seit elf Jahren. Ich habe deswegen dafür auch nur eine mittelmäßige Note bekommen: „cum laude“. Ein einfaches Lob, wohl eher für den Fleiß als für die Sorgfalt.
Meine Doktorarbeit ist nicht frei von Schwächen, nicht selten ungenau, oberflächlich und manchmal geradezu fehlerhaft. Es wäre auch zu wünschen gewesen, dass ich deutlich gemacht hätte, auf welche Literatur ich mich jeweils stütze. Es werden Aussagen gemacht, ohne dass auch nur ein einziger Beleg genannt würde.
Dies alles ist aber auch der Universität Heidelberg seit elf Jahren bekannt.
Ihr eigenes Fehlverhalten deutet die FDP-Politikerin flugs als Schuld der akademischen Gremien ihrer alma mater und ihres Doktorvaters, des Historikers Volker Sellin um, der es versäumt habe, die Einhaltung der guten wissenschaftlichen Praxis in ihrem Promotionsvorhaben durchzusetzen:
Zur guten wissenschaftlichen Praxis gehört es aber sicher auch, eine vorgelegte Arbeit ordentlich zu prüfen.
Wenn in den beiden Gutachten zu einer vorgelegten Doktorarbeit derart massive Kritik geäußert wird, dann ist ganz sicher davon auszugehen, dass bei den Mitgliedern des Promotionsausschusses im Jahr 2000 alle Alarmglocken geklingelt haben und meine Arbeit einer besonders kritischen Untersuchung unterzogen wurde.
Der Promotionsausschuss hat mir im Jahr 2000 in voller Kenntnis aller eklatanten Schwächen meiner Arbeit den Doktortitel verliehen.
Der so kritisierte Doktorvater hat sich im Berliner Tagesspiegel mehr als „irritiert“ gezeigt. Auch der Vorsitzende des Promotionsausschuss der Universität Heidelberg, Manfred Berg, wies umgehend Koch-Mehrins „haltlose Verteidigungsstrategie“ zurück. Selbst die eher konservative Rhein-Neckar-Zeitung stellte fest: die „ungewöhnliche Doktorandin aus Heidelberg“ ist politisch am Ende.
Zum überfälligen Rückzug als Vollmitglied im Forschungs- und Industrieausschuss des EU-Parlaments hat nicht nur die „Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen“ beigetragen, zu der unter anderem die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft gehören, sondern auch der Aufstand der rechtschaffenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in den deutschsprachigen Wissenschaftsblogs vehement gegen diesen Affront eingesetzt und Petitionen für den Rücktritt von Silvana Koch-Mehrin lanciert haben. Nachdem diese weitere peinliche Korrektur geschafft ist, geht es nun darum, die EU-Parlamentarierin auch auf dem letzten angemessenen Schritt zu begleiten, der konsequent nur in den Verzicht auf ihr Mandat münden kann. Deutschland braucht, wie jeder andere europäische Staat, keine BetrügerInnen, die den Souverän zu eigenen Gunsten an der Nase herumführen.
RelativKritisch unterstützt die vom SciLogs-Blogger Anatol Stefanowitsch initiierte Petition, mit dem endgültigen Ziel, Frau Koch-Mehrin auf ihrem schweren Weg zu begleiten
ihr Mandat im Europäischen Parlament niederzulegen.
Da Silvana Koch-Mehrin in den vergangenen Legislaturperioden des Europäischen Parlamemts vor allem durch Inkompetenz und Abwesenheit aufgefallen ist, ist zumindest ihre Deklaration der eigenen finanziellen Zugewinne recht unauffällig. Macht aber nichts, ihre Grundausstattung ist attraktiv genug, um das Mandat mit Zähnen und Klauen bis zur gesicherten Abwahl im Jahr 2014 zu verteidigen.
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[…] RelativKritisch hat sich mit der Thematik beschäftigt. Silvana Koch-Mehrin – Vom Plagiat zur Petition zum Rücktritt zeigt schön den Werdegang dieser […]
[…] das geistige Eigentum anderer angeeignet zu haben. Der „Karriere-Doktor“ kämpft um wie Silvana Koch-Mehrin um sein parlamentarisches Mandat, seine politischen Funktionen und seine persönlichen Pfründe. […]