ralfkannenberg
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Verfasst am: 16.09.2009, 16:47 Titel: Disziplinenübergreifende Argumente in einem Fachgutachten |
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Hallo zusammen,
ich möchte in Konsequenz der Arbeit "Review of the risk assessment process used for the 2008 LHC safety study" von Dr.Leggett, welcher eine Arbeit "SCIENCE'S NEW SOCIAL CONTRACT WITH SOCIETY" von Michael Gibbons referenziert, einmal folgende Thematik ansprechen: Welchen Sinn machen disziplinenübergreifende (z.B. ethische, ganzheitliche, …) Argumente in einem Fachgutachten, z.B. einer fachlichen Sicherheitsanalyse ?
Ich betone, dass ich mich bei meinen nachfolgenden Betrachtungen mangels Kompetenz nicht auf die o.g. Arbeit von Michael Gibbons beziehe, ich könnte mir aber vorstellen, dass Sie im Verlaufe der Diskussion eine wesentliche Referenz darzustellen vermag.
Oftmals wird den Vertretern der reinen Mathematik vorgeworfen, dass sie realitätsfremde Modelle konstruiert, die mit der Physik nichts zu tun haben, ja bisweilen wird sogar der Vorwurf erhoben, dass man mit der Mathematik letztlich alles beweisen könne. Solche Vorwürfe entstammen üblicherweise nicht aus physikalischen Kreisen, in denen man sich der Nützlichkeit der mathematischen Methoden durchaus bewusst ist, sondern aus Laienkreisen und tatsächlich kann eine unzutreffend angewandte Mathematik zu falsch anmutenden Resultaten führen. Diese Resultate sind nicht "falsch", sondern "falsch anmutend", d.h. es wurde ein Resultat hergeleitet, welches nicht die Vorausetzungen der physikalischen Fragestellung erfüllt. Das ist natürlich nicht ein Fehler der Mathematik, sondern der Fehler dessen, der die Mathematik angewendet hat, dennoch kann eine z.B. experimentelle Überprüfung der Richtigkeit der verwendeten Voraussetzungen typischerweise nicht von Mathematikern, sondern nur von Physikern geleistet werden. Die Zusammenarbeit von Mathematikern und Physikern funktioniert schon seit je her exzellent, was einerseits historische Gründe hat und andererseits auch aufgrund eines zumindest sehr ähnlichen Abstraktionsgrades begründbar sein dürfte.
Dieses einfache Beispiel indes zeigt auf, dass möglicherweise auch bei anderen Fragestellungen disziplinenübergreifender zusammengearbeitet werden sollte, um der Gefahr eines gewissen Fachidiotentums vorzubeugen, wobei diese Wortwahl "Fachidiotentum" letztlich nur die Folge einer übertrieben ausgeprägten Spezilisierung ist und wir alle wissen, dass in der heutigen hochkomplexen Zeit Generalisten gar keine Chance mehr haben, auf vorderster Forschungsebene mitzuwirken, sondern dass man sich vorgängig intensiv spezialisieren muss, ehe man überhaupt über die benötigten Kompetenzen verfügen kann.
Heisst das nun, dass stets disziplinenübergreifende Betrachtungen durchgeführt werden müssen oder gilt das nur für einige Fälle ?
1. Beispiele:
Zwei Beispiele mögen diese Fragestellung erhellen:
Beispiel 1:
Seien 2 und 3 natürliche Zahlen und die Summenbildung wie in der Mathematik üblich definiert. Es wird behauptet, dass die Summe dieser beiden Zahlen die natürliche Zahl 5 ergibt.
Wird sich am Ergebnis etwas ändern, wenn sich eine disziplinenübergreifende Kommission dieser Fragestellung annimmt ?
Beispiel 2:
Ein Forscher möchte gerne die Funktion des menschlichen Gehirnes genauer untersuchen. Zu diesem Zweck benötigt er 1000 Probanden, denen er Stück für Stück Teile des Gehirnes herausschneidet und danach an den Probanden Tests durchführt, um festzustellen, wie stark deren Gehirn in ihrer Funktion eingeschränkt ist.
Ein solches Experiment ist zweifelsohne "machbar" und wird auch nicht zu katastophalen Auswirkungen für unseren Heimatplaneten führen.
Darf man es also durchführen oder müssen zuerst ethische Bedenken abgeklärt werden ?
2. Sicherheitsanalysen
1. fachliche Sicherheitsanalysen (ohne ethische Beteiligung):
Ich begnüge mich, eine fachliche Sicherheitsanalyse nur für das Beispiel 2 zu erörtern. Eine solche fachliche Sicherheitsanalyse wird beurteilen müssen, in wieweit die Menschheit durch ein solches Forschungsprojekt Schaden nehmen wird, insbesondere wird sie Aussagen über Opferzahlen zu tätigen haben. Die Vorgehensweise ist nicht schwer erkennbar - man wird feststellen, dass ein solches Experiment für die 1000 Probanden mit erheblichen Gefahren verbunden ist und für die anderen Menschen ungefährlich. Somit ist von einer Opferzahl von 1000 Personen zu rechnen, womit die Sicherheit bei diesem Experiment nicht gewährleistet ist.
2. disziplinenübergreifende Sicherheitsanalysen (mit ethischer Beteiligung):
Ich begnüge mich, eine disziplinenübergreifende Sicherheitsanalyse nur für das Beispiel 2 zu erörtern. Eine solche wird vielleicht von vornherein ohne genauere fachliche Abklärungen zu einem Resultat gelangen, dass die Würde der 1000 Probanden nicht gewährleistet ist und entsprechend vom Experiment abraten.
3. Fazit:
Zweifelsohne wird im Beispiel 2 die Argumentation bei Einbezug disziplinenübergreifender Gutachter direkter sein, aber auch die rein fachliche Sicherheitsanalyse genügt bereits, um die Durchführung des Experimentes zu verhindern.
4. Was wird die Lösung beinhalten ?
Ich will mich gewiss nicht erdreisten, in einer solchen komplexen Thematik eine Lösung vorzuschlagen. Ich denke aber, dass man zwischen Fachgutachten und Entscheidungsgremium unterscheiden muss. Letztlich wird jede teilnehmende Disziplin ein eigenes Fachgutachten zu erstellen haben und dieses mit geeigneten qualitätsverbesserenden Massnahmen (Peer-Review, unabhängiges Zweitgutachten, …) abzusichern haben. Es wird nicht viel Sinn machen, bei den disziplineninternen Fachgutachten fachfremde Gutachter beizuziehen, weil diese üblicherweise nicht genügend mit der Thematik vertraut sind.
Das Entscheidungsgremium wiederum wird die involvierten Disziplinen zu definieren haben sowie die pro Disziplin zu leistende Qualität der Fachgutachten. Da nur das Entscheidungsgremium über die benötigte Übersicht verfügt, wird dieses auch zu definieren haben, in welchen Bereichen disziplinenübergreifende Gutachten erstellt werden müssen. Selbstverständlich gilt für diese Beurteilung des Entscheidungsgremiums dasselbe wie für jedes disziplineninterne Fachgutachten, d.h. diese Beurteilung des Entscheidungsgremiums wird ebenfalls mit geeigneten qualitätsverbesserenden Massnahmen (Peer-Review, unabhängiges Zweitgutachten, …) abzusichern sein.
5. Anwendung auf CERN/LHC
Kommen wir nun zurück zum LHC: Professor Rössler und Dr.Leggett fordern ein disziplinenplinenübergreifendes Gremium ein. Sie begründen das aber beide irrtümlich mit fehlender Qualität der physikalischen Fachgutachten und nicht mit fehlender Qualität der Beurteilung des Entscheidungsgremiums.
Woran liegt das ? Nun, Dr.Leggett's Argumentation (Restrisiken, Unabhängigkeit usw.) funktioniert eben nicht bei der Beurteilung des Entscheidungsgremiums und Professor Rösslers Versuch, sein Gothic Theorem zur Anwendung zu bringen, funktioniert ebenfalls nicht bei der Beurteilung des Entscheidungsgremiums.
Deswegen versuchen beide, beim physikalischen Fachgutachten den Argumentationshebel anzusetzen und deswegen erhalten beide ein unzutreffendes Resultat, was die Sicherheit des LHC anbelangt.
6. Teilnehmende:
Man mag mir vorwerfen, dass ich diese Thematik nicht in einem Bereich, in dem jeder Zugriff hat, vorstelle; das kommt daher, dass ich in der jetzigen Erarbeitungsphase eine möglichst neutrale Diskussion anregen möchte, welche ohne vorbelastete Beiträge geführt wird; aus Gründen einer paritätischen Fairness werde auch ich mich nicht an der Diskussion beteiligen.
Sollte eine Diskussion auch mit meiner Teilnahme gewünscht werden, so werde ich dies in einem zusätzlichen Thread in einem Forenbereich, in dem erweiterte Userrechte freigeschaltet sind, tun. Ich würde es aber sehr begrüssen, wenn vorher bereits eine Diskussion mit ersten, gerne auch erst vorläufigen Ergebnissen in Gang gekommen ist.
Freundliche Grüsse, Ralf |
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