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zeitgenosse
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Verfasst am: 09.10.2008, 01:04 Titel: Helle Köpfe |
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Obwohl ich ein überzeugter Verfechter des Leibniz'schen Theoria cum praxi bin (und beruflich stark in der physikalischen Technik verankert), verfolge ich ab und zu gewisse Entwicklungen in der reinen Mathematik.
Zu nennen wären:
1) Fermats Letzter Satz
Während Jahrzehnten, ja Jahrhunderten, bereitete eine von Fermat (1607-1665) flüchtig an den Rand einer Buchseite der ARITHMETICA des Diophantos gekritzelte Notiz den Mathematikern grösstes Kopfzerbrechen.
Zitat: | „Cubum autem in duos cubos, aut quadratoquadratum in duos quadratoquadratos, et generaliter nullam in infinitum ultra quadratum potestatem in duos eiusdem nominis fas est dividere. Cuius rei demonstrationem mirabilem sane detexi. Hanc marginis exiguitas non caperet.“
Es ist unmöglich, einen Kubus in zwei Kuben, ein Biquadrat in zwei Biquadrate oder allgemein eine Potenz grösser als die zweite in zwei ebensolche Potenzen zu zerlegen. Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis gefunden, doch ist dieser Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen. |
Sogar der 'Princeps Mathematicorum', Gauss, scheiterte am Problem und tat zumindest so, als ob es nicht wichtig genug wäre. Lange Zeit sah es überhaupt so aus, als ob "Fermats letzter Satz" nicht zu beweisen wäre, möglicherweise sogar zu den unentscheidbaren Sätzen (Gödel) gehörte. Heute wird angenommen, dass Fermat den Beweis für einen Spezialfall (n = 4) gefunden hatte, von dem er glaubte, ihn verallgemeinern zu können.
Eigentlich geht es im Kontext um eine an sich banale Gleichung:
x^n + y^n = z^n
In Worten:
Diese Gleichung hat keine ganzzahligen Lösungen für n > 2.
Oder anders gesagt: Gibt es rechtwinklige Dreiecke mit ganzzahligen Seitenlängen?
Das ist der Kerninhalt des Fermatschen Theorems.
Schliesslich meisterte ein begabter Mathematiker - Andrew Wiles - während einer siebenjährigen selbstauferlegten Askese das Problem, indem er zunächst die Taniyama-Shimura-Vermutung (alle elliptischen Kurven sind modular) bewies. Damit hatte er zugleich auch "Fermats letzten Satz" bewiesen. Die beschwerliche Reise führte durch das Gebiet der elliptischen Funktionen bis zu den Modulformen und zum Duell mit dem Unendlichen.
http://math.stanford.edu/~lekheng/flt/wiles.pdf
Niemand von Wiles Kollegen ahnte auch nur das Geringste bis das Geheimnis im Jahre 1993 gelüftet wurde. Wiles handhabte virtuos das Instrumentarium der modernen Mathematik, darunter die Iwasawa-Theorie (die als ein Verfahren zur Analyse elliptischer Gleichungen bekannt ist). Zunächst schien Wiles den Kampf zu verlieren, doch dann wurde er von seinem einstigen Doktorvater, John Coates, auf die Kolywagin-Flach-Methode hingewiesen, worauf er die Iwasawa-Theorie zugunsten dieser neuen Methode aufgab.
Nachdem Wiles (1994) seine Vortragsreihe in Cambridge beendet hatte, wurde das Wolfskehl-Kommitee verständigt, welches den von Wolfskehl (1908) ausgesetzten Preis (ursprünglich 100'000 Goldmark) zu vergeben hatte. Doch alsbald zeigte sich eine gravierende Lücke im Beweisverfahren. Davon wussten glücklicherweise nur die Gutachter, unter ihnen Katz und Ribet. Doch lange liess sich das Debakel nicht geheimhalten. In den Kreisen der Mathematiker verbreitete sich zunehmends die Enttäuschung und Wiles Jugendtraum verwandelte sich in einen bösen Alptraum. Schliesslich gelang es, den Fehler zu korrigieren und damit den Beweis zu retten. Wiles erlebte gewissermassen eine Form der Eingebung, als er in einem luziden Moment erkannte, dass die Iwasawa-Theorie allein unzulänglich war. Die Kolywagin-Flach-Methode für sich allein ebenso. Doch zusammen ergab sich die rettende Synthese.
Nun hatte die Mathematikergemeinde endlich Grund zu feiern.
Fortsetzung folgt...
Gr. zg _________________ Make everything as simple as possible, but not simpler!
Zuletzt bearbeitet von zeitgenosse am 13.10.2008, 11:02, insgesamt 2-mal bearbeitet |
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zeitgenosse
Anmeldedatum: 21.06.2006 Beiträge: 1811
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Verfasst am: 11.10.2008, 03:59 Titel: |
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2. Die Poincaré-Vermutung
A. Der Beweis
Diese Vermutung, welche nach dem Urteil namhafter Mathematiker (unter ihnen Tian, Kleiner und Lott) von Grigorij J. Perelman (2002) bewiesen wurde, führt uns tief in die Topologie und letztlich zur Frage nach der Gestalt der Welt. Der ursprüngliche Beweis enthielt zwar noch geringfügige Fehler, die aber durch Dritte repariert werden konnten. Die Gruppe um Prof. Yau (bekannt für die in den Stringtheorien auftauchenden Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten) war der Ansicht, dass für einen vollständigen Beweis noch viel zu tun wäre, Perelman aber die Hauptarbeit geleistet habe. Perelman hatte seinen Beweis (den er in einem Preprint auf dem Dokumentenserver arXiv.org plaziert hatte) dermassen gut versteckt, dass die Kollegen ersteinmal nachfragen mussten, um sich zu vergewissern. Die Anfrage eines westlichen Kollegen, ob Perelman etwa die Poincaré-Vermutung bewiesen haben, wurde mit einem knappen "That’s correct" beantwortet. Der russische Mathematiker hielt danach eine Reihe von Vorträgen, am MIT und in Stony Brook (State University of New York), wobei er dem Ricci-Fluss eine zentrale Bedeutung einräumte:
δ(g_ik) = -2
Hinter dieser für den Laien unscheinbaren Gleichung verbirgt sich eine Landschaft voller Geometrie. Die Gleichung beschreibt eine zeitliche Veränderung der Metrik mit der Folge, dass sich die Mannigfaltigkeit dort, wo die Ricci-Krümmung groß ist, zusammenzieht und dort, wo sie klein ist, ausdehnt. Als Grenzfall bildet sich eine Metrik konstanter Krümmung aus. Der Prozess gleicht dem Wärmefluss in einem Körper. Untersucht wurde der Ricci-Fluss insbesondere von Hamilton (1982), welcher zu zeigen vermochte, dass für eine gegebene Anfangsmetrik positiver Krümmung der Ricci-Fluss eine zeitlang existiert. Für 3-Mannigfaltigkeiten, wo eine Anfangsmetrik mit positiver Krümmung zugelassen ist, erbrachte Hamilton zudem den Nachweis, dass auf ihnen der Ricci-Fluss zu einer Metrik konstanter positiver Schnittkrümmung konvergiert. Daraus folgt, dass diese Mannigfaltigkeit entweder die 3-Sphäre oder allenfalls ein Quotient daraus sein muss. Die von Perelman entwickelte Methode erlaubt indessen auch die Behandlung von Singularitäten des Ricci-Flusses. Der Fluss kann angehalten und an einer anderen Stelle wieder in Gang gesetzt werden. Dazu wird die Umgebung der Singularität abgeschnitten und durch eine Kappe (eine 3-dimensionale Hemisphäre passender Grösse) ersetzt. Auf dieser Halbsphäre lässt man den Fluss dann weiterfliessen. Man nennt diese eine Chirurgie zur Zeit T. Damit läst sich der Ricci-Fluss ohne Probleme und innerhalb endlicher Zeit beenden.
The entropy formula for the Ricci flow and its geometric applications:
http://arxiv.org/pdf/math/0211159v1
Ricci flow with surgery on three-manifolds:
http://arxiv.org/pdf/math/0303109v1
Finite extinction time for the solutions to the Ricci flow on certain three-manifolds:
http://arxiv.org/pdf/math/0307245v1
Perelman wurde für seine bahnbrechende Arbeit die 'Fields Medaille' - eine der höchsten Auszeichnungen in der Mathematik - zugesprochen, deren Entgegennahme der zurückgezogen lebende Wissenschaftler jedoch aus persönlichen Gründen ablehnte. Denn im Grunde genommen geht es Perelman um viel mehr, nämlich um die Geometrisierungsvermutung selbst, und dabei möchte er sich nicht durch weltliche Umtriebe von seinem Ziel ablenken und zur gefeierten Gallionsfigur machen lassen. Als Spezialfall folgt die Poincaré-Vermutung aus der allgemeineren Vermutung der Geometrisierung von 3-Mannigfaltigkeiten. An der Preisverleihung in Madrid (2006) glänzte Perelman durch demonstrative Abwesenheit. Nach der Bekanntmachung herrschte eine zeitlang betretenes Schweigen. Einer Reporterin der britischen "Sunday Telegraph" diktierte der aussergewöhnliche Denker lakonisch: "Ich denke nicht, dass ich irgendetwas zu sagen hätte, das von geringstem öffentlichem Interesse wäre..." In Interviews mit Sylvia Nasar vom "New Yorker" sagte er, dass er von den ethischen Standards der Mathematikerwelt enttäuscht ist und deshalb nichts mehr mit der Community zu tun haben will. Auch an dem durch das Clay-Institut ausgelösten Preis von 1 Mio. US-Dollar bekundete der Genius bisher kein Interesse. Als Voraussetzung für das Preisgeld hätte er seinen Beweis in einer renommierten Fachzeitschrift veröffentlichen müssen, was offensichtlich seinen Gepflogenheiten widersprach. Nachdem "Grisha" inzwischen auch seine Stellung beim Steklow-Institut in St. Petersburg gekündigt hat, ist er arbeitslos und lebt zusammen mit seiner Mutter von den Ersparnissen.
B. Die 3-Sphäre
Nach dieser ungewöhnlichen Einleitung sind wir beim eigentlichen Kernthema, der 3-Sphäre und ihrer Topologie, angelangt. Die von Poincaré erhobene Vermutung besagt im Kontext nämlich nichts Geringeres als:
Eine kompakte orientierbare 3-Mannigfaltigkeit mit trivialer Fundamentalgruppe ist homöomorph zur 3-Sphäre.
Kurz ausgedrückt ist eine 3-Mannigfaltigkeit ein topologisches Objekt, das sich in der Umgebung jedes Punktes auf der Mannigfaltigkeit wie ein 3-dimensionaler euklidischer Raum präsentiert. Um zur Kugel überzuleiten ist eine 2-Sphäre der Rand dieser Kugel. Die Sphäre selbst ist jedoch ohne Rand (als Flächenwesen könnte man sie endlos umrunden, obwohl sie endlich ist). Eine 2-Sphäre erhält man dadurch, indem zwei Kreisflächen an ihren Rändern zusammengefügt und das dadurch entstehende Gebilde "aufgeblasen" wird. Eine 3-Sphäre entsteht demzufolge durch das Aneinanderfügen der Oberflächen zweier Kugeln, Punkt-für-Punkt. Es entsteht eine Hyperkugel in n=4 Dimensionen. Die 3-Sphäre ist folglich ein in sich geschlossener und randloser Raum der Dimensionszahl (n-1=3), welcher den Rand einer Hyperkugel (n=4) bildet. Die Visualisierung will mir allerdings, obwohl bereits viele Nachtstunden dafür opfernd, noch immer nicht gelingen. Selbst nach drei Krügen Weissbier nicht (und ein vierter läge problemlos in Reichweite).
Die 3-Sphäre ist demnach die Menge aller Punkte im vierdimensionalen Hyperraum, die der Gleichung
x0^2 + x1^2 + x2^2 + x3^2 = 1
genügt.
Wie sich eine beliebige Sphäre S_n (im einfachsten Fall ein Kreisumfang) berechnen lässt, sehen wir bei Wolfram:
http://mathworld.wolfram.com/Hypersphere.html
http://mathworld.wolfram.com/Sphere.html
(Mathematica Player installieren)
Interessant ist m.E., dass die räumliche Ausdehnung einer Sphäre ab n>7 rapide abnimmt, so dass höhere Lebenssphären, die somit auf eine natürliche Weise kompaktifiziert sind, nicht von Vornherein auszuschliessen wären.
Unter homöomorph versteht man im Kontext, dass zwei Objekte durch Dehnen, Stauchen, Verbiegen oder Verdrillen ineinander überführbar sind ohne dass sie dabei zerreissen. So ist bspw. eine Henkeltasse homöomorph zu einem Donut.
In einfachen Worten und sinngemäss ausgedrückt fordert die Poincaré-Vermutung somit:
Suche und beweise die Homöomorphie der 3-Mannigfaltigkeit zur 3-Sphäre wobei gilt, dass jede geschlossene 3-Mannigfaltigkeit, in welcher sich alle Schleifen stetig auf einen Punkt zusammenziehen lassen, homöomorph zu S^3 ist. Jede geschlossene Kurve, etwa ein Seil, auf der (randlosen) Oberfläche einer Kugel lässt sich bekanntlich zu einem Punkt zusammenziehen (welcher auch auf der Kugel liegt). Man spricht von einem "einfach zusammenhängenden" Körper. Bei einem Torus, wo das Seil durch das Loch geführt wird, wäre das nicht möglich.
Für den Fall einer Sphäre mit n=2 ist die Aussage längst bewiesen (siehe Gauß-Bonnet, Gauss'sche Fläche). Ebenso für n>7 (Smale, 1961). Zeeman (1961) bewies den fünfdimensionalen Fall. Stallings (1962) bewies die sechsdimensionale Vermutung. Der Fall n=4 wurde inzwischen auch bewiesen (Friedmann, 1982). Am schwierigsten gestaltete sich jedoch der Fall n=3. Perelman (2002) nun bewies die Vermutung auch für diesen von Poincaré explizit ins Auge gefassten Kardinalfall.
Mittels des vollbrachten Beweises lässt sich unwiderlegbar festlegen:
Jede geschlossene 3-Mannigfaltigkeit mit trivialer Fundamentalgruppe trägt eine sphärische Struktur. Damit kann sie mit einer schönen geometrischen Struktur, d.h. mit einer Riemannschen Metrik versehen, werden, was auch für den Physiker vorteilhaft ist.
Für den Kosmologen von Interesse ist bspw. eine Reise durch den Kosmos. Nach Hawkings befinden wir uns - unter Einbezug der Zeitdimension - in einem 5-dimensionalen Universum, auf dessen 3-Sphäre wir räumlich angesiedelt sind. Eine intergalaktische Reise durch den Ortsraum, immer geradeaus, müsste uns nach endlicher Zeit an den Ausgangspunkt zurückführen; adäquat zu einer Weltumsegelung auf einer kugelförmigen Erde (wobei letztere Bewegung nur auf einer 2-Sphäre, der Kugeloberfläche, stattfindet). Unsere Reise verläuft hingegen auf einer 3-Sphäre (den vierdimensionalen und die Sphäre tragenden Hyperraum als Ganzes nehmen wir mit unseren Sinnen ebenso wenig wahr wie ein Flächenwesen das Innere der Erde). Eine Reise auf der 3-Sphäre beginnt im unteren Raumgebiet. Überquert man den "Weltäquator" - d.h. den ursprünglichen Kugelrand der jetzt keiner mehr ist und nach Barthel die "Totalebene der Welt" verkörpert - gelangt man in die oberen Bereiche, um dann von dort über die Totalebene zurück in die untere Maximalkugel zu gelangen. Es handelt sich hier um eine individuelle Betrachtung und nicht um wissenschaftliches Gemeingut. Adäquat wie es auf der 3-dimensionalen Erdkugel einen Nord- und einen Südpol gibt, findet sich auch auf der Hyperkugel ein Oben- und ein Untenpol, wo die Reise nur noch zurück führen kann. Die Erdfläche wäre dann aus pragmatischen Gründen die "Mitte der Welt" (von Barthel als "Lambertsche Münze" bezeichnet); Lambert hat als genialer Autodidakt die flächentreue Azimutalprojektion entwickelt, die in der Kartografie ihre Bedeutung besitzt.
C. Die Gestalt der Erde
So selbstverständlich uns heutigen die 3-Kugel (Globus) und deren 2-Sphäre (Atlas) ist, war es beileibe nicht immer. Zwar war bereits vor Eratosthenes die Kugelgestalt der Erde bekannt (dass die Erde eine Scheibe ist, diese naive Vorstellung kursiert nur noch in den Köpfen einiger Primaten). Die Pythagoräer wussten bereits davon. Auch in der Bibel wird die Kugelform erwähnt. Doch die exakte Form war lange Zeit unbekannt. Heute sprechen wir von einem Geoid.
Kolumbus bspw. dachte noch an eine Birne, wobei die südliche Hemisphäre dem Bauch und die nördliche dem in den Stil auslaufenden Teil entsprach. Für den Seefahrer war somit klar, dass eine Schiffsreise nach Indien über die nördliche Route erheblich kürzer ausfallen musste als eine über das Kap Horn herum. Doch diese Vorstellung erwies sich letztlich als ebenso irrig wie diejenige der Cassinischen Kurven als Planetenbahnen.
(Obwohl Kepler zu seiner Zeit bereits die elliptischen Bahnen proklamiert hatte, vertrat ein ansehnlicher Teil der astronomischen Zunft weiterhin die Idee von Cassini. Newton hingegen sprach sich für die Keplerellipsen und eine Vollkugelerde aus, welche an den Polen abgeplattet war. Die Richtigkeit der Newtonschen Theorie konnte aber erst viele Jahre später durch die Vermessung des Längengrades erbracht werden.)
Im Grunde genommen wusste man bis zum 18. Jahrhundert nur, dass die Erde kugelförmig ist. Sie hätte jedoch ebensogut birnenförmig, apfelförmig oder auch wie ein Donut gestaltet sein können. Erstere zwei Körper sind untereinander homöomorph. Sie lassen sich - Streckung und Stauchung erlaubt - punktweise aufeinander abbilden. Auf einer dauernd wolkenverhangenen Erde (siehe die Venus) wäre es in geometrischer Hinsicht jedoch schwer - wenn nicht unmöglich - gewesen, die Kugelgestalt eindeutig zu beweisen. Auch auf einem Torus ist eine Weltumsegelung selbstverständlich möglich. Und das sogar in zweifacher Hinsicht. Es gäbe einen langen und einen kurzen Weg. Und auch ein Torus kann rotieren und das Foucault'sche Pendel ausschlagen lassen. Der topologische Unterschied zur Kugel ist jedoch der, dass ein Torus nicht einfach zusammenhängend ist. Ein Seil, das durch das Loch hindurch um den Ring geschlungen wird, lässt sich nicht bis auf einen Punkt zusammenziehen. Auf einer Kugel mit glatter Oberfläche hingegen ist solches jederzeit möglich.
Die Poincaré-Vermutung steht am Ende eine Reihe von Arbeiten zur 'Analysis Situs', die Poincaré zwischen 1895 bis 1904 durchführte. Es gab seinerzeit auch kritische Stimmen wie diejenige von Heegaard. Das Thema hat die algebraische Topologie zum Inhalt. Doch dazu müssen wir nochmals etwas weiter ausholen:
Nehmen wir bspw. eine Weltkarte bzw. deren zwei, welche die Welt ohne die Pole abbilden. Nun kleben wir die Karten oben und unten zusammen, so dass ein Zylinder entsteht. Danach kleben wir die verbleibenden Seiten zusammen, so dass daraus ein Torus resultiert. Wie können wir nun mit Gewissheit behaupten, die Erde sei eine Kugel? Wir verstehen jetzt vielleicht auch die unterschwellige Bedeutung, die der Eroberung der Pole zugrunde lag. Es ging dabei nicht nur um den sportlichen Wettkampf (das sicherlich auch), sondern letztlich um die endgültige Beantwortung der Frage nach der Gestalt der Erde. Dazu mussten aber erst Karten angefertigt werden und das bedeutete Erdvermessung vor Ort. Heute, wo Satelliten die Erde umkreisen und wir den Anblick der Erde aus dem Weltraum kennen, ist das alles nur noch schwer nachvollziehbar. Doch selbst dabei gehen wir von einigen stillschweigenden Voraussetzungen (Axiomen) aus wie z.B., dass sich Lichtstrahlen geradlinig in den Raum erstrecken. Wäre es anders, lägen Objekt und Visierlinie nicht auf derselben Geraden, kämen wir unweigerlich zu falschen Schlussfolgerungen - es sei denn, wir wüssten um die wahre Geometrie Bescheid. Die Metrik spielt somit nebst der Topologie eine grosse Rolle. Man denke dabei etwa an die Poincarésche Kreisscheibe oder an das Klein-Beltrami-Modell der hyperbolischen Ebene. Solche Weltgeometrien vorausgesetzt - mit lokal genügend grosser Krümmung - würde zu anderen Ergebnissen führen, als wir es uns tagtäglich gewohnt sind. Glücklicherweise verhält sich die Erdwelt innerhalb ihres Horizonts wie eine euklidische Ebene (wo das Parallelenpostulat allein gilt).
D. Poincaré und die Algebraisierung der Topologie
Poincaré befasste sich zeitlebens mit vorwiegend solchen schwierigen Fragen. Bereits sein Briefwechsel mit Klein über die "Fuchs'schen Funktionen" zeugt im Ansatz davon. So war es nicht weiter verwunderlich, dass er auch auf Riemanns Arbeiten über höherdimensionale Mannigfaltigkeiten aufmerksam wurde. Die natürliche Geometrie auf einer Oberfläche wurde unweigerlich zum Thema. Welche Metrik besitzt bspw. ein Torus mit 3 Löchern? Mit etwas Vorbildung lässt sich ohne Weiteres zeigen, dass man den Torus im euklidischen 4-Raum unterbringen kann, so dass er eine flache Metrik erbt. Insbesondere aber passt ein hyperbolischer zweilöcheriger Torus nicht in den euklidischen 3-Raum. Es stellt sich die Frage, ob es möglich ist, jede Mannigfaltigkeit mit einer Riemannschen Metrik so einem n-dimensionalen euklidischen Raum einzupassen, dass die Metrik auf der Mannigfaltigkeit dieselbe ist wie die, welche sie vom umgebenden euklidischen Raum erbt. Diese Frage blieb lange Zeit unbeantwortet. Erst Nash (1956) zeigte in einem denkwürdigen Aufsatz, dass die Antwort auf das allgemeine Einbettungsproblem "ja" lautet. Nicht allzulange danach machten sich erste schizophrene Störungen bei ihm bemerkbar. Die Beschäftigung mit höheren Mannigfaltigkeiten oder auch dem Unendlichen birgt manche Gefahren in sich (wovon uns Cantor ein Liedchen singen könnte).
Kennengelernt hatte Poincaré die nichteuklidische Geometrie durch Beltrami, auf den die Pseudosphäre (eine Oberfläche mit konstant negativer Krümmung) zurückgeht. Die Pseudosphäre entsteht, indem man eine Traktrix (Schleppkurve) um ihre y-Achse rotieren lässt. Ihre Pole liegen im Unendlichen. Ihre Krümmung in jedem Punkt der Sphäre ist -1. Poincaré ging aber über lediglich zwei Dimensionen hinaus, indem er ein Modell des dreidimensionalen hyperbolischen Raumes erarbeitete. Zwischenzeitlich befasste er sich auch mit einer Preisaufgabe und stiess auf das chaotische Verhalten von Himmelskörpern. Oder er verfasste Grundlagenartikel zum Relativitätsprinzip und gab den von Lorentz entwickelten Transformationen einen Namen. In der Quintessenz drang er aber immer tiefer in die Topologie ein, zu deren Begründern er ja auch zählt.
Eine wichtige Grösse waren die sog. Betti-Zahlen, die von Betti entdeckt worden waren. Betti-Zahlen sind schlichtweg topologische Invarianten, welche die globalen Eigenschaften eines topologischen Raumes beschreiben. Im Kontext tauchen Homologiegruppen auf. Poincaré vermutete, dass die Homologiegruppen für homöomorphe Mannigfaltigkeiten identisch waren respektive, wenn ersteinmal die Homologiegruppen bekannt waren, kannte man auch die Betti-Zahlen et ultra. Es zeigte sich aber, dass es nicht ausreicht, nur die Betti-Zahlen zu kennen.
Letztlich ging es um die tiefgründige Frage:
Wenn wir in einem Universum leben, das eine dreidimensionale Mannigfaltigkeit ist, wie können wir dann mit Bestimmtheit sagen, welche Mannigfaltigkeit es ist? Das heißt, ob eine 3-Mannigfaltigkeit immer entweder sphärisch, hyperbolisch oder torisch ist (wie später von Thurston, 1980, untersucht wurde, welcher die Geometrisierung in Gang gesetzt hat).
Die Thurston-Vermutung (Thurston's geometrization conjecture) lautet sinngemäss:
Dreidimensionale endliche orientierbare Räume können zunächst auf bestimmte Weise in endlich viele kleinere Teilräume zerschnitten werden (es resultieren Kugeloberflächen oder Torus-Oberflächen). Bei dieser Zerlegung entstehen Teilräume (Untermannigfaltigkeiten), die jeweils genau eine von acht möglichen Geometrien aufweisen. Dazu gehört u.a. die euklidische Geometrie, die Geometrie der 3-Sphäre und die dreidimensionale hyperbolische Geometrie sowie exotischere Geometrien (Nil-Geometrie, Sol-Geometrie etc.)
Falls die Geometrisierungsvermutung gilt sind Mannigfaltigkeiten mit einer endlichen Fundamentalgruppe sphärisch. Zu Beginn des 20. Jh. wusste das keiner mit Sicherheit. Diese Fragen reichen bis weit in die moderne Kosmologie hinein, wie u.a. am Modell des Poincaré-Dodekaeder-Raumes ersichtlich ist. Poincarés Denken kristallisierte sich in der Folge zunehmends an der 3-Sphäre heraus (als einfachster dreidimensionaler Mannigfaltigkeit). In einem Beitrag äusserte er sich dazu mit den Worten:
Zitat: | Jeder Polyeder, bei dem alle Betti-Zahlen gleich eins und alle Reihen T_q bilateral sind, ist der dreidimensionalen Sphäre homöomorph. |
Damit begann prinzipiell die Geschichte der Poincaré'schen Vermutung; denn das obige Theorem erwies sich als falsch. Es fanden sich Mannigfaltigkeiten, deren sämtliche Betti-Zahlen und Torsionskoeffizienten zwar gleich eins und die trotzdem der 3-Sphäre nicht homöomorph sind. Mit anderen Worten: Selbst wenn alle diesbezüglichen Betti-Zahlen bekannt wären, wüsste man noch immer nicht die wahre Form des Universums. Schliesslich gipfelte diese Untersuchung in der Frage:
Zitat: | Ist es möglich, dass die Fundamentalgruppe einer Mannigfaltigkeit die Identität sein könnte, dass diese Mannigfaltigkeit aber vielleicht nicht der dreidimensionalen Sphäre homöomorph sein mag? |
Dies ist der eigentliche Kern der Poincaré-Vermutung. Als Fundamentalgruppe einer Mannigfaltigkeit hatte der Franzose die Menge von Schleifen in einem Punkt einer Mannigfaltigkeit definiert (wobei zwei Schleifen als dieselben betrachtet werden konnten, wenn sie ineinander umformbar, d.h. homotop, sind). Die Identität ist dann die Schleife, die an einem einzigen Punkt bleibt und nirgendwo sonst verläuft. Eine Schleife ist demzufolge der Identität äquivalent, wenn sie auf einen Punkt zusammengezogen werden kann.
Zitat: | ...Man konnte sich offensichtlich eine Gruppe "vorstellen" (imaginer), schrieb Poincaré, so dass jedem geschlossenen Weg durch einen gegebenen Punkt P ein Element der Gruppe entsprach; dass genau die Wege, die stetig in den Basispunkt P zusammengezogen werden konnten, dem Neutralelement der Gruppe entsprachen; und dass jedem Weg, der durch Aneinandersetzen zweier in P beginnender und endender Wege entstand (so dass also von P aus zuerst der erste und danach der zweite Weg durchlaufen wird), die Verknüpfung der beiden Gruppenelemente entsprach, welche diesen Wegen zugeordnet waren. Die drei Bedingungen zusammen implizieren, dass diese Gruppe - von Poincaré die "Fundamentalgruppe" einer zusammenhängenden Mannigfaltigkeit genannt - auch als die Menge der Aequivalenzklassen von stetig ineinander deformierbaren Wegen mit festem Basispunkt, versehen mit der durch das Aneinandersetzen von Wegen induzierten Verknüpfung, erklärt werden kann.
Epple, "Die Entstehung der Knotentheorie" (Vieweg) |
Damit sind wir am Ende dieses Beitrages angelangt. Viele hatten sich an einem Beweis der Poincaré-Vermutung versucht, u.a. Whitehead in den 1930er Jahren, der seine Arbeit aber später zurückzog. Aehnlich erging es nach ihm weiteren Mathematikern. Wie wir inzwischen wissen, hat Perelman die Aufgabe mit geistiger Bravour - wenn auch nur skizzenhaft - gemeistert. Die definitive Ausarbeitung haben andere auf sich genommen.
Gr. zg _________________ Make everything as simple as possible, but not simpler! |
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richy
Anmeldedatum: 03.01.2007 Beiträge: 506 Wohnort: 76
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Verfasst am: 21.06.2009, 22:32 Titel: |
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Ein verspaetetes Dankeschoen fuer die tolle detailierte Zusammenfassung.
Als Tipp sollte man noch das Buch "Fermats letzter Satz erwaehnen", in dem die spannende Geschichte in sehr unterhaltsamer Form widergegeben ist. |
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JANm
Anmeldedatum: 08.10.2008 Beiträge: 322 Wohnort: Haarlem, Nederland
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Verfasst am: 24.04.2011, 02:36 Titel: Re: Helle Köpfe |
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zeitgenosse hat Folgendes geschrieben: | Es ist unmöglich, einen Kubus in zwei Kuben, ein Biquadrat in zwei Biquadrate oder allgemein eine Potenz grösser als die zweite in zwei ebensolche Potenzen zu zerlegen. Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis gefunden, doch ist dieser Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen. |
Hallo Zietgenosse
Ich kann mich erinnern das ein Griecher schon bewies das 2x^2=y^2 nicht rationalisierbar war, also 2x^3=y^3 ist doch nicht so ein grosse algemeinisierung denn! Doch?
Im klavier gibt die erste gleichung nur eine solution im C das ist fon ton E zum A=Sqr(2) ist sex tohnabstande, weil die zweite gleichung vier tohnabstande sind: also BD, EG und FA als antwort haben.
2x^4=y^4 hat drei tohnabstande, also:DF,GB,AC und CE esgibt nur noch 2x^6=y^6 mit zwei tohnabstande, also BC,CD, EF, FG und GA und 2x^12=y^12 mit ein tohnabstand, also AB oder DE.
Das nur wann sie Mozart wirklich serieoz nimmt
Grusse Janm _________________ Weiss nicht viel aber was ich weiss benutze ich. |
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zeitgenosse
Anmeldedatum: 21.06.2006 Beiträge: 1811
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Verfasst am: 25.04.2011, 23:14 Titel: Re: Helle Köpfe |
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JANm hat Folgendes geschrieben: | Das nur wann sie Mozart wirklich serieoz nimmt |
Ich höre lieber Bruckner oder auch Schumann!
zg _________________ Make everything as simple as possible, but not simpler! |
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M_Hammer_Kruse
Anmeldedatum: 19.02.2006 Beiträge: 1772
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Verfasst am: 26.04.2011, 06:44 Titel: |
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Bei
geht es nicht um die Frage
Zitat: | Gibt es rechtwinklige Dreiecke mit ganzzahligen Seitenlängen? |
Diese Frage ist seit dem Altertum geklärt: Für beliebige natürliche Zahlen u und v liefern a=u²-v², b=2uv, c=u²+v² ein solches Dreieck.
Bei der Fermatschen Vermutung geht es dagegen darum, ob so etwas in höheren Potenzen ganzzahlig lösbar ist.
Übrigens gibt es sackweise ungelöste berühmte mathematische Fragestellungen. Hilbert hat seinerzeit eine Liste solcher Probleme zusammengestellt. Etwa die Hälfte davon sind mittlerweile gelöst. Andererseits sind seither eine Menge neuer Fragen dazugekommen.
Fermats Problem ist nur ein besonders prominentes darunter, was nicht zuletzt an der Auslobung des Wolfskehl-Preises (um 1920) liegt. Mit Wiles ist das Thema jetzt endlich formal erledigt.
Andere schöne Beispiele (um nur auf die elementare Zahlentheorie zu schauen), sind die Frage nach der Mächtigkeit der Menge der Primzahlzwillinge ("gibt es unendlich viele?") oder die goldbachsche Vermutung.
Gruß, mike |
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