Kritische Betrachtung eines RT-kritischen Papers von J.Field

 
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Optimist71



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BeitragVerfasst am: 16.09.2008, 21:01    Titel: Kritische Betrachtung eines RT-kritischen Papers von J.Field Antworten mit Zitat

Hallo Alpha Centauri,

Ekkehard Friebe verlinkt auf seiner Homepage auf ein Paper von John Field, der auch Mitarbeiter im CERN ist. Das Paper hat den Titel "A sign error in the Minkowski space-time plot and its consequences", in dem der Autor meint, einen Vorzeichenfehler in den Herleitungen zur Minkowski-Metrik ausgemacht zu haben, der seit einem Jahrhundert unentdeckt geblieben sei. Korrigierte man diesen Fehler, so Field im Abstract, wuerde es keine Laengenkontraktion und keine Relativitaet der Gleichzeitigkeit mehr geben.

In diesem Thread soll dieses Paper kritisch untersucht werden. Ich moechte hier zunaechst einmal mit Kapitel 2 beginnen, in dem Field bei der Anwendung der Lorentztransformation ein Fehler unterlaeuft, aufgrund dessen er zu den oben genannten Schlussfolgerungen kommt.

Im Kapitel 2 betrachtet der Autor zwei Inertialsysteme, die sich mit v geradlinig und gleichfoermig zueinander bewegen. Die Bewegung erfolge in x-Richtung. Ein Stab mit der Ruhelaenge $ L' $ ruhe dabei im System S'. Die Endpunkte des Stabes seien mit $ O' $ (das sei gleichzeitig der Ursprung von S') und $ P' $.
Dabei schreibt Field die Gleichungen der Lorentztransformation zweimal an, und zwar $ x' $ und $ t' $ jeweils separat fuer die beiden Punkte O' und P' (Gleichungen (2.1), (2.2) und (2.5), (2.6)).

Schreibt Gleichungen (2.2) und (2.6) zunaechst allgemein hin

$ (2.2)\quad t'= \gamma [t-\frac{v}{c^2}x] $
$ (2.6)\quad t'= \gamma [t-\frac{v}{c^2}(x - L)] $

und setzt diese gleich

$ \gamma [t-\frac{v}{c^2}x] = \gamma [t-\frac{v}{c^2}(x - L)] $

erhaelt man die Aussageform

$ vx=v(x-L) $

Fuer $ v \ne 0 $ ergibt das nur fuer $ L=0 $ eine wahre Aussage.

Richtig muesste (2.6) lauten:

$ t'-T'= \gamma[t-\frac{v}{c^2}(x-L)] $,

ergo

$ T'=\frac{vL}{c^2} $

Eine absolute Gleichzeitigkeit, wie von Field behauptet, kann nicht aus den Gleichungen (2.1), (2.2) und (2.5), (2.6) gefolgert werden.
Die Gleichungen (2.10) - (2.13) sind daher fehlerhaft und ungueltig.

Kommentar: Offensichtlich geht es Field darum, eine externe Synchronisation vorzunehmen, um eine absolute Gleichzeitigkeit zu erhalten (siehe z.B. im Abschnitt, der auf Gleichung (2.8) folgt).
Dabei wird typischerweise eines der Inertialsysteme als das bevorzugte System angesehen, die anderen Systeme waeren dann aber keine IS mehr.
Mittels einer Selleri-Transformation etwa koennte man die Relativitaet der Gleichzeitigkeit herausrechnen, allerdings fuer den Preis, dass die Naturgesetze in verschiedenen Systemen dann jeweils eine andere Form haben.

Das ist fuer das besprochene Paper allerdings irrelevant, da eine absolute Gleichzeitigkeit nicht hergeleitet wurde.

Mit Kapitel 3 (und folgende) muss ich mich noch naeher befassen. Vorweg nur soviel: Die Lorentztransformationen lassen sich auch als Drehung im Minkowskiraum auffassen, allerdings stellen Gleichungen (3.7), (3.8) keine Drehung dar. Sind diese Gleichungen falsch, so sind auch Schlussfolgerungen, die auf Grundlage dieser Gleichungen gezogen werden, als falsch zu bewerten.

(Danke auch an Joachim und Karl fuer Eure Tips und Links!)

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Optimist71



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BeitragVerfasst am: 16.09.2008, 21:16    Titel: Antworten mit Zitat

Zu Kapitel 3: Wie gesagt verstehe ich seine "Drehung" im Minkowskiraum. Gleichungen (3.7) und (3.8) beschreiben jedenfalls keine Drehung.

Eine Lorentztransformation kann jedoch als Drehung um einen komplexen Winkel aufgefasst werden, d.h.

$ x' = x \cdot cos \theta - x_4 \cdot sin \theta $
$ x'_4 = x \cdot sin \theta + x_4 \cdot cos \theta $

(mit $ x_4 = ict $)

als Spezialfall einer linearen Orthogonaltransformation $ x'_{\mu} = \frac {\partial x'_{\mu}}{\partial x_{\alpha}} x_{\alpha} $. Eine solche Transformation ist aber doch nur dann moeglich, wenn in allen Inertialsystemen die Invariante in der Form $ ds^2 = \sum_{\alpha = 1}^{4} dx_{\alpha} $ ueber Pythagoras ausgedrueckt werden kann? Nur dann bilden die $ dx_{\alpha} $ einen Vierervektor, dessen Laenge $ ds $ ist.

Allerdings bekomme ich dann auch
$ \beta = i \cdot tan \theta $
$ cos \theta = \frac{1}{\sqrt{1-\beta^2}} $
$ sin \theta = \frac{-i \beta}{\sqrt{1-\beta^2}} $
heraus.

Field rechnet aber offenbar mit $ x_0 $ anstatt mit $ x_4 $ und einem reellen Winkel $ \theta $. Die Invariante wird jetzt ausgedrueckt zu
$ ds^2 = dx_0^2 - dx_1^2 - dx_2^2 - dx_3^2 $
und eine lineare Orthogonaltransformation kann mEn mit diesen Koordinaten nicht durchgefuehrt werden (man korrigiere mich ggf.!). Tut man das trotzdem, d.h.

$ x' = x \cdot cos \theta - x_0 \cdot sin \theta $
$ x'_0 = x \cdot sin \theta + x_0 \cdot cos \theta $

so komme ich auf das Zwischenergebnis
$ (I) \quad x' = \frac{x - \beta x_0}{\sqrt{1 + \beta^2}} $
$ (II) \quad x'_0 = \frac{x_0 + \beta x}{\sqrt{1 + \beta^2}} $

Wie deutlich ersichtlich stellen (I) und (II) keine Lorentztransformation dar. Mit den Korrekturfaktoren soll in (3.5) und (3.6) wohl der Nenner wieder auf die Form $ \sqrt{1-\beta^2} $ gebracht werden. Allerdings muss im Zaehler von (II) auch noch die Differenz von $ x_0 $ und $ \beta x $ anstatt der Summe stehen, damit es eine Lorentztransformation wird. Dann aber beschreibt der Satz Gleichungen keine Drehung mehr.

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Zuletzt bearbeitet von Optimist71 am 28.01.2009, 17:27, insgesamt einmal bearbeitet
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Joachim



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BeitragVerfasst am: 17.09.2008, 18:09    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Optimist, hallo Forum,

ich bin jetzt erst dazu gekommen, das Kapitel 2 nicht nur zu lesen, sondern auch zu studieren. Field legt hier eine eigenartige Auffassung von einer Koordinatentransformation vor. Er nimmt die Lorentztransformation nicht als bijektive Abbildung einer Koordinatendarstellung auf eine andere, sondern er verwendet für jeden Punkt eine eigene Transformation.

Die meisten von uns sind es ja gewohnt, die Lorentztransformation als einfachen Lorentz-Boost am Koordinatenursprung des Systems $S$ durchzuführen. Die Transformationsgleichungen von $S$ mit $x$ und $t$ in das System $S^\circ $ mit $x^\circ $ und $t^\circ $ sind dann (Ich bleibe beim 1+1 dimensionalen Fall, in den anderen Raumkoordinaten passiert nichts besonderes):

$x^\circ = \gamma(x-vt)$
$t^\circ = \gamma(t-\frac{vx}{c^2})$

Das sind Fields Gleichungen (2.1) und (2.2) nur mit der Einschränkung, dass er sie nur für den Ursprung seines nicht inertialen Systems $S'$, der sich in $S$ mit $vt$ bewegt, gelten lässt. Er definiert also eine Transformation von $S$ nach $S'$, die nur die Gerade $x=vt$ auf die Gerade $x' =0$ abbildet.

Wie definiert er die anderen Punkte des Systems $S'$?

Nun, man kann die Lotentztrafo natürlich an einen beliebigen Ursprung durchführen. Nehmen wir mal an, wir haben im Koordinatensystem $S$ einen Punkt $P$, der sich mit $x_P(t)=L+vt$ bewegt und wir wollen ein Inertialsystem $S^\dagger$ bilden, in dem dieser Punkt am Ort $x=L'$ ruht. Die Transformation besteht aus einer Verschiebung um $L$, einen Boost und einer Verschiebung um $-L'$ und lautet:

$x^\dagger =L'+\gamma(x-L-vt)$
$t^\dagger = \gamma(t-\frac{v(x-L)}{c^2})$

Das sind Fields Gleichungen (2.5) und (2.6), die er aber für seine Transformation nur für die Gerade $x=L+vt$ gelten lässt, die er nach diesen Formeln auf die Gerade $x'(t')=L'$ abbildet.

Nun hat er also auf dem zweidimensionalen x-t-Raum eine Abbildung gebildet, die nur für zwei Geraden anständig definiert ist. Man kann sein Konzept aber im Prinzip über den ganzen Raum fortführen. Da $L$ ja in $S$ der Abstand des Punktes vom Ursprung sein soll, gilt für die logische Fortführung $L=x$ und wir erhalten die Transformation:

$x' =X'(x,t) -\gamma vt$
$t' = \gamma t $


$X'(x,t)$ ist zunächst nur für $x=vt$ und für $x=L+vt$ definiert: $X'(x=vt)=\gamma x$ und $X'(x=L+vt)=L'+\gamma(x-L)$. Wie Field im Text nach (2.8 ) angibt, verwendet er in seiner Transformation die externe Synchronisation aus dem Inertialsystem $S$ heraus. Für die spezielle Wahl $X'(x) =\gamma x$ geht die Field-Transformation in die Selleri-Transformation über.

Einen kapitalen Bock schießt er in Gleichung (2.12). Wo er nämlich aus dem Umstand, dass man für den Spezialfall $v=0$ aus (2.5) $x' -L' =\gamma(x-L)=0$ erhält, und mit dem Wissen, dass bei $v=0$ der Faktor $\gamma=1$ und $x' =x$ ist (Wenn sich nichts bewegt muss man auch nichts transformieren.), folgert, dass ganz allgemein $L=L'$ sein muss. Das gilt natürlich nur zwingend für die Nulltransformation und muss nicht weiter bewiesen werden. Man kann zwar in der allgemeinen Field-Transformation $X'(x)=x$ setzten, aber dann ist im transformierten System $S'$ nicht einmal die Zwei-Weg-Lichtgeschwindigkeit invariant. Das ist dann sicher kein Inertialsystem.

Fazit: Das Paper ist ein gutes Übungsstück in Koordinatentransformation. Bewiesen wird aber nichts, was nicht vorher schon per Definition hineingesteckt wurde.

So, auf Kapitel 3 habe ich jetzt keine Lust mehr.



Gruß,
Joachim
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