Erster direkter Nachweis fuer Dunkle Materie

 
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iceman



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BeitragVerfasst am: 26.09.2006, 11:47    Titel: Erster direkter Nachweis fuer Dunkle Materie Antworten mit Zitat

Hallo,

nach gegenwaertigem Wissem bestehen Galaxienhaufen aus baryonischer ("normaler") Materie, sowie Dunkler Materie. Die baryonische Materie kommt hierbei in zwei Formen vor: den Galaxien selbst, sowie einem stark aufgeheiztem Plasma, welches im Roentgenlicht leuchtet und den ganzen Haufen durchsetzt. Dieses Roentgengas dominiert in seiner Masse die Masse der Galaxien hierbei deutlich. Die Dunkle Materie wiederrum macht etwa 90% der Gesamtmasse des Haufens aus, dominiert also ueber die baryonische Materie - falls die Dunkle Materie tatsaechlich existiert.

Kollidieren nun zwei Galaxienhaufen miteinander, so passiert folgendes: Da Galaxien relativ duenn in den Haufen verteilt sind und zudem aus Sternen bestehen (die sehr grosse Abstaende zueinander haben), koennen sie bei einem Zusammenstoss als kollisionslose Teilchen betrachtet werden. Das heisst, die Galaxien der beiden Haufen beeinflussen sich kaum und fliegen auf ihren Trajektorien weiter. Gleiches gilt fuer Dunkle Materie (druckfrei und kollisionslos), die die gleichen Trajektorien aufweist (genauer gesagt, folgen die Galaxien der Dunklen Materie).

Die heissen Roentgenplasmen der beiden Haufen kollidieren jedoch heftig miteinander und werden in ihrer Bewegung abgebremst. Als Endresultat hat man nun zwei Galaxienhaufen (mit potentieller Dunkler Materie), und separiert davon zwei Roentgenhalos.

Ueber den Gravitationslinseneffekt kann man nun pruefen, wo die Gravitationspotentiale am groessten sind. Bei Abwesenheit von Dunkler Materie muessten es die Roentgenhalos sein, da diese den Loewenanteil baryonischer Materie auf sich vereinigen. Bei Anwesenheit Dunkler Materie waeren es die Orte mit den Galaxien, da sich dort eben auch die Dunkle Materie aufhalten wuerde.

Genau dies wurde nun eindrucksvoll anhand des "Bullet Clusters" durch tiefe Aufnahmen mit dem VLT, dem HST und Chandra nachgewiesen. Die Positionen der Roentgenhalos und der Gebiete mit hoechster Schwerkraft sind auf dem 8 sigma level unterschiedlich. Eine solche Diskrepanz kann mit keiner MOND (modifiziertes Gravitationsgesetz) reproduziert werden. Dies ist der erste direkte Nachweis fuer die tatsaechliche Existenz Dunkler Materie. Weitere kollidierende Galaxienhaufen befinden sich in Beobachtung.

Schoen zusammengefasst und mit Referenzen:

http://en.wikipedia.org/wiki/Bullet_cluster

mischa
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Uli



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BeitragVerfasst am: 26.09.2006, 14:05    Titel: Antworten mit Zitat

Damit kann man aber nun m.E. immer noch nicht ausschließen, dass die dunkle Materie konventionell (d.h. baryonisch) ist. Ich schätze, irgendwelche Ansammlungen nicht allzugroßer Materiebrocken (Planetoiden etc.) könnten die fehlenden Massen immer noch gut erklären.

Nun gut, man hat kein Modell, wo dieses Zeug herkäme. Aber naheliegender als Wimps oder so was fände ich das erst einmal immer noch.

Oder habe ich was übersehen ?

Uli
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ralfkannenberg



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Beiträge: 4788

BeitragVerfasst am: 26.09.2006, 17:41    Titel: Antworten mit Zitat


Zitat:

iceman schrieb am 26.09.2006 12:47 Uhr:
(...) aus baryonischer ("normaler") Materie, sowie Dunkler Materie


Ich will ja nun nicht pedantisch sein, aber man sollte die leptonische Masse, also von den Elektronen (bei genügend Energie auch Myonen) und ihren Neutrinos herkommend, nicht vergessen, auch wenn ihr Masse-Anteil nicht sehr gross ist.

"Normale" Materie ist also baryonische und leptonische Masse.

Und wie Uli gesagt hat - ein weiteres, zweifelsohne überzeugendes Indiz in Richtung Dunkle Materie ist gefunden worden, aber von einem "Nachweis" kann noch keine Rede sein.

Hier müssen wir noch ein bisschen warten, bis der leichteste supersymmetrische Partner nachgewiesen werden kann. Und womöglich gibt es hier noch völlig unbekannte Zusammenhänge - so weiss ich auch nicht, ob beispielsweise der zweitleichteste supersymmetrische Partner unter gewissen Voraussetzungen auch stabil sein kann und wir womöglich ganze Teilchenfamilien mit völlig anderen (natürlich nicht anderen, sondern verallgemeinerten !) Gesetzmässigkeiten als den uns gewohnten in dieser Welt entdecken ...

Freundliche Grüsse, Ralf
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iceman



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BeitragVerfasst am: 26.09.2006, 21:22    Titel: Antworten mit Zitat

@ Uli:
Das ist ein oft gehoertes Argument ("dunkle" Materie in Form von Planetoiden oder schwarzen Loechern). Schwarze Loecher entstehen durch Supernova-Explosionen, und wenn man DM durch ebensolche erklaeren will, so muesste man eine gewaltige Menge an Supernovae explodieren sehen. Wenn nicht heute, dann aber in der Vergangenheit, das heisst in weit entfernten Objekten. Das tut man aber nicht. Genausowenig sieht man die enorme Anzahl an hellen Sternen, die zu solchen SN werden koennten.

Mit Planetoiden ist es anders. Diese bestehen aus schweren Elementen, das Universum besteht aber zu 3/4 aus Wasserstoff und der groesste Rest aus Helium. Das geht auch aus den Nukleosynthesemodellen des Urknalls so hervor. Natuerlich werden schwerere Elemente in Sternen erbruetet, aber solche Mengen (10 mal mehr als die gesamte sichtbare Materie im Universum) ist mit keiner Logik erklaerbar. Angenommen, diese Planetoiden wuerde es doch geben, dann sind sie dem Strahlungsfeld der Galaxien ausgesetzt. Die auftreffende Strahlung wird natuerlich nicht vollkommen absorbiert, sondern in anderen Wellenlaengenbereichen wieder abgestrahlt (hauptsaechlich IR). Ein solcher Strahlungshintergrund waere enorm und waere schon laengst aufgefallen.

@ Ralf:
Du hast natuerlich recht, Leptonen und schwere Neutrinos tragen auch bei. Der Anteil der Elektronen ist aber winzigst wie man am Vergleich Elektronenmasse und Protonenmasse sofort sieht. Bei Neutrinos sieht es anders aus. Deren Anzahl ist betraechtlich, und kann daher einen Beitrag liefern. Allerdings ist dieser hoechstens bei 10%.

Um das genauer zu verstehen, muss man sich die heute existierenden Strukturen im Universum anschauen. Deren Bildung kann sehr gut verstanden werden anhand von Teilchen, die anfaenglich zufaellige Positionen und Geschwindigkeiten einnahmen. Dieses Dichtefeld laesst man sich dann unter seiner eigenen Schwerkraft und der Expansion des Universums entwickeln. Zufaellige Dichtekonzentrationen sammeln dann aufgrund der erhoehten Schwerkraft weiteres Material an usw. Besteht dieses Feld allein aus Elektronen, Protonen, Heliumkernen und Photonen, so haette sich in den 13.7 Milliarden Jahren seit dem Urknall bis heute nicht einmal ein einziger Stern, geschweige denn eine Galaxie gebildet (oder ein Mensch).

Der Grund hierfuer liegt darin, dass bis 300000 Jahre nach dem Urknall das Universum vollstaendig ionisert war. Freie Elektronen und freie Protonen koppeln ueber ihre elektrischen Ladungen stark an Photonen. In anderen Worten, hat sich irgendwo eine kleine Ansammlung Materie eingefunden, so wird sie durch den immensen Strahlungsdruck sofort wieder zerstoert. Erst 300000 Jahre nach dem Urknall, als die Temperatur weit genug gefallen war und die freien Ladungen in neutralem Wasserstoff und Helium gebunden waren ("Rekombination"), fiel diese Wechselwirkung weg. Licht konnte das Universum ungehindert durchqueren (es wurde durchsichtig), und Materieansammlungen konnten sich bilden. Aber bei weitem keine solchen Objekte wie Sterne und Galaxien.

Das Vorhandensein von Sternen etc kann nur dadurch erklaert werden, dass es eine sehr langlebige Materiekomponente gibt, die ausschliesslich gravitativ wechselwirkt (insbesondere nicht elektromagnetisch, muss also elektrisch neutral sein), und zum Zeitpunkt der Rekombination "kalt" war, sich also mit nicht-relativistischer Geschwindigkeit bewegt. Neutrinos fallen hier weg, da sie sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen ("heisse" Dunkle Materie) und selbst keine gravitativ gebundenen Systeme zustande bringen koennen.

Da kalte Dunkle Materie nicht mit Photonen wechselwirkt, konnte sie von Anbeginn an gravitativ gebundene Ansammlungen bilden, die immer weiter anwuchsen. Zum Zeitpunkt der Rekombination hatten sich auf diese Art tiefe Gravitationspotentiale geformt, in die normale Materie einfallen konnte. Hieraus entstanden dann spaeter Galaxienhaufen und kleinere Strukturen. Dass diese Potentiale tatsaechlich existieren wurde Anfang der 90er Jahre ueber den COBE Satelliten anhand des Mikrowellenhintergrundes (das Bild des Universums 300000 nach dem Urknall) nachgewiesen. Seither ist das stark verfeinert worden (WMAP 2003).

Ich koennte hier jetzt noch beliebig weitermachen, es wuerde aber nichts mehr an meiner Kernaussage aendern. Zahlreiche astronomische Beobachtungen fordern unabhaengig voneinander die Existenz kalter Dunkler Materie.

Das kuerzliche Ergebnis anhand des "Bullet Clusters" ist tatsaechlich ein starker Nachweis fuer die Existenz der DM. Ich sehe seine Bedeutung aber eher darin, dass es ein modifiziertes Gravitationsgesetz (MOND) hochsignifikant ausschliesst. Das haette ich in meinem ersten Post klarer rausstellen koennen.

Welches Teilchen (oder gar Teilchensorten) fuer die DM in Frage kommen, darueber machen astronomische Beobachtungen freilich keine Aussage. Sie fordern lediglich ihre Existenz, wie bestimmte Quantentheorien auch. Ich finde es hoechst interessant wie hier seit etwa 15-20 Jahren die Wissenschaften des Groessten und des Kleinsten eine derartig tief liegende, gemeinsame Kontaktflaeche gefunden haben. Man darf jedenfalls gespannt sein.

Viele Gruesse

Mischa
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Ich



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BeitragVerfasst am: 27.09.2006, 07:43    Titel: Antworten mit Zitat

Danke Mischa, das war glaub ich die beste kurze Zusammenfassung des Themas, die ich je gelesen habe.
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Uli



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Beiträge: 472

BeitragVerfasst am: 08.01.2007, 21:10    Titel: Dunkle Materie kartografiert Antworten mit Zitat

Hier nochmal ein Update zur Untersuchung dunkler Materie

Dark matter mapped in 3-D detail

Offenbar ist über Gravitationslinsen-Effekte eine regelrechte Kartografierung gelungen.

Die Autoren sagen übrigens, dass konventionelle baryonische Materie (MACHOs) als Kandidat für dunkle Materie noch nicht ausgeschlossen ist.
Weiter oben im Thread war das ja anders gesehen worden.

Gruss, Uli

PS. Es gibt auch was auf deutsch, wie jemand ("Marco Polo") bei quanten.de gepostet hat:

http://www.astronews.com/news/artikel/2007/01/0701-005.shtml
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