Poincaré 1905

 
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 02.12.2008, 21:56    Titel: Poincaré 1905 Antworten mit Zitat

Hi,

Ich verweise auch hier auf meine inzwischen vervollständigten Übersetzunsversuche von Poincarés Relativitäts(?)-Arbeiten von 1905.

Über die Dynamik des Elektrons, Juni

und die monströse Palermo-Arbeit:

Über die Dynamik des Elektrons, Juli

mfg
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Zuletzt bearbeitet von dhainz am 05.12.2008, 16:37, insgesamt einmal bearbeitet
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galileo2609
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BeitragVerfasst am: 03.12.2008, 00:25    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Dietmar,

vielen Dank für die Information. Ich werde gerne mal reinschauen.

Grüsse galileo2609
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pauli



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BeitragVerfasst am: 03.12.2008, 00:30    Titel: Antworten mit Zitat

Für Besucher: Das ist eine Art Fortsetzung von diesem thread
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 03.12.2008, 01:11    Titel: Antworten mit Zitat

Korrektur:
Habe leider eine etwas veraltete Version der Juli-Arbeit raufgeladen (ohne Tippfehlerkorrektur!). Habe jetzt die richtige raufgespielt.

Also bitte noch mal runterladen:

Über die Dynamik des Elektrons, Juli

mfg
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 08.12.2008, 13:02    Titel: Antworten mit Zitat

so, jetzt sind alle komplett, denn auch Poincarés 1900-Arbeit ist nun verfügbar.

Die Theorie von Lorentz und das Prinzip der Reaktion

Einige Änderungen waren auch in der Juli-Arbeit notwendig:

Über die Dynamik des Elektrons, Juli

mfg
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pauli



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BeitragVerfasst am: 10.12.2008, 03:34    Titel: Antworten mit Zitat

dhainz hat Folgendes geschrieben:
so, jetzt sind alle komplett, denn auch Poincarés 1900-Arbeit ist nun verfügbar.

Die Theorie von Lorentz und das Prinzip der Reaktion

hm, unter Description steht
Zitat:
Eine im Dezember 2008 angefertigte Übersetzung von Poincares Arbeit (11. Dezember 1900), wo er eine Art Relativität der Gleichzeitigkeit mit Uhrensynchronisation und die Formel m=E/c^2 einführt.

Hat das vlt. jemand durchgelesen? Habe da nichts gefunden was annähernd nach m=E/c^2 aussieht,
was aber nichts heißen soll Very Happy
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 10.12.2008, 11:22    Titel: Antworten mit Zitat

pauli hat Folgendes geschrieben:
Habe da nichts gefunden was annähernd nach m=E/c^2 aussieht, was aber nichts heißen soll Very Happy


Das liegt an der veralteten Notation. Wie Maxwell und andere gibt's bei Poincaré hier keinen eigenen Ausdruck für die Lichtgeschwindigkeit, sondern er benutzt $K_0 = 1/c^2$ und J für die Energie.

Zitat:
S. 6: Wir können die elektromagnetische Energie als ein fiktives Fluid mit der Dichte $K_{0}J$ betrachten, welches sich in Übereinstimmung mit Poyntings Gesetz durch den Raum bewegt.


Also $K_{0}J=E/c^2$. Indem er die elektromagnetische Energie also wie eine "fiktive" Masse behandelte, konnte er das Problem der Schwerpunktsbewegung angehen:

Zitat:
S. 7: Weiters soll $M_{0}$ die gesamte Masse der Materie darstellen, $X_{0},Y_{0},Z_{0}$ die Koordinaten ihres Schwerpunkts, $M_{1}$ die gesamte Masse des fiktiven Fluids, $X_{1},X_{2},X_{3}$ die Koordinaten ihres Schwerpunkts, $M_{2}$ die gesamte Masse des Systems (Materie und fiktives Fluid), $X_{2},Y_{2},Z_{2}$ ihren Schwerpunkt,


und noch mal zusammenfassend:
Zitat:
S. 8: Da die elektromagnetische Energie sich wie ein mit Trägheit ausgestattetes Fluid verhält, müssen wir deswegen aus unserer Sicht schließen, dass wenn irgendein Gerät elektromagnetische Energie erzeugt und in eine bestimmte Richtung abstrahlt, dieses Gerät einen Rückstoß erfährt, wie beim Rückstoß einer Kanone wenn es ein Geschoss abfeuert.


Na, ja, Poincare war zwar auch nicht der Erste, der einen Zusammenhang mit von EM-Energie und Masse erkannte, aber immerhin...

mfg
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pauli



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BeitragVerfasst am: 10.12.2008, 13:34    Titel: Antworten mit Zitat

Danke für die Erklärung, Dietmar
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 10.11.2009, 16:58    Titel: Antworten mit Zitat

Zur Ergänzung gibt's die von Emilie Weber (1906, Der Wert der Wissenschaft) angefertigte Übersetzung von Poincaré's Arbeiten:

Das Maß der Zeit (1898)

Zitat:
Wenn ich von einem Astronomen höre, daß ein Vorgang am Himmel, den ihm sein Fernrohr augenblicklich [40] zeigt, vor fünfzig Jahren stattgehabt hat, so suche ich zu verstehen, was das heißt, und frage darum zuerst, woher er es weiß, das heißt, wie er die Lichtgeschwindigkeit bemessen hat.

Er hat zunächst angenommen, daß das Licht eine konstante Geschwindigkeit hat und besonders, daß seine Geschwindigkeit nach allen Richtungen die gleiche ist. Das ist ein Postulat, ohne das keine Messung dieser Geschwindigkeit versucht werden könnte. Dies Postulat wird nie durch die Erfahrung unmittelbar bestätigt werden können; es könnte aber durch sie widerlegt werden, wenn die Resultate verschiedener Messungen nicht übereinstimmend wären. Wir können uns glücklich schätzen, daß diese Widerlegung nicht stattfindet, und daß die kleinen Unterschiede, die sich zuweilen zeigen, leicht aufzuklären sind.


Zitat:
Die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse oder ihre Aufeinanderfolge und die Gleichheit zweier Zeiträume müssen derart definiert werden, daß der Wortlaut der Naturgesetze so einfach als möglich wird. Mit andern Worten, alle diese Regeln, alle diese Definitionen sind nur die Früchte eines unbewußten Opportunismus.


und Der gegenwärtige Zustand und die Zukunft der mathematischen Physik (St. Louis-Rede vom September 1904, Überschriften wurden 1905 hinzugefügt.)

Zitat:
Das Prinzip der Relativität, nach dem die Gesetze der physikalischen Vorgänge für einen feststehenden Beobachter die gleichen sein sollen, wie für einen in gleichförmiger Translation fortbewegten, so daß wir gar kein Mittel haben oder haben können, zu unterscheiden, ob wir in einer derartigen Bewegung begriffen sind oder nicht.


Zitat:
Die allerscharfsinnigste Idee ist die der lokalen Zeit. Denken wir uns zwei Beobachter, die ihre Uhren nach optischen Signalen regulieren wollen. Sie tauschen Signale; da sie aber wissen, daß die Übertragung des Lichtes nicht augenblicklich geschieht, müssen sie darauf bedacht sein, sie zu kreuzen. Wenn die Station B das Signal der Station A bemerkt, darf ihre Uhr nicht die gleiche Zeit zeigen wie die der Station A im Augenblick der Aussendung des Signals, sondern eine Zeit, die um einen konstanten, die Dauer der Übertragung bedeutenden Zeitraum später ist. Nehmen wir zum Beispiel an, daß die Station A ihr Signal abgibt, wenn ihre Uhr Null zeigt, und die Station B es bemerkt, wenn [142] ihre Uhr t zeigt. Die Uhren sind gerichtet, wenn die t gleiche Verzögerung die Dauer der Übertragung bedeutet, und um es zu erproben, sendet die Station B ihrerseits ein Signal, wenn ihre Uhr auf Null steht, und die Station A muß es nun bemerken, wenn ihre Uhr t zeigt. Dann sind die Uhren reguliert.

Und wirklich zeigen sie die gleiche Zeit im gleichen physischen Augenblick, aber unter einer Bedingung, daß die beiden Stationen feststehend sind. Im entgegengesetzten Fall wird die Dauer der Übertragung in den beiden Richtungen nicht die gleiche sein, da die Station A zum Beispiel der optischen Störung, die von B ausgeht, entgegenkommt, während die Station B vor der von A ausgehenden Störung flieht. Die auf diese Weise gerichteten Uhren zeigen also nicht die wahre Zeit; was sie zeigen, könnte man lokale Zeit nennen; die eine wird gegen die andere nachgehen. Es liegt aber nichts daran, da wir kein Mittel haben, es zu bemerken. Alle Erscheinungen, die zum Beispiel in A entstehen, verspäten sich, aber sie tun es alle gleichmäßig, und der Beobachter wird es nicht bemerken, weil seine Uhr nachgeht; also hat er, wie es das Prinzip der Relativität verlangt, gar kein Mittel zu wissen, ob er in absoluter Ruhe oder in Bewegung ist.


Zitat:
Aus all diesen Resultaten würde, wenn sie sich bestätigten, eine ganz neue Methode hervorgehen, die hauptsächlich durch die Tatsache charakterisiert würde, daß keine Geschwindigkeit die des Lichtes übersteigen könnte (Denn die Körper setzen den Ursachen, die ihre Bewegung zu beschleunigen suchen, einen Widerstand entgegen; und dieser Widerstand würde unendlich werden, wenn man sich der Geschwindigkeit des Lichtes näherte.), ebensowenig wie keine Temperatur unter den [150] absoluten Nullpunkt fallen kann. Für einen Beobachter, der selbst in einer ihm unbewußten Bewegung mitgeführt wird, könnte ebenfalls, keine scheinbare Geschwindigkeit die des Lichtes übersteigen, und dies wäre ein Widersprach, wenn man sich nicht daran erinnerte, daß sich dieser Beobachter nicht der gleichen Uhren bedient, wie ein feststehender Beobachter, sondern solcher Uhren, die die „lokale Zeit“ zeigen.


Zitat:
Vielleicht müßten wir auch eine ganz neue Mechanik ersinnen, die uns nur undeutlich vorschwebt, worin, da der Widerstand mit der Geschwindigkeit wächst, die Geschwindigkeit des Lichtes eine unüberschreitbare Grenze wäre. Die gewöhnliche Mechanik würde ganz einfach eine erste Annäherung bleiben, die für nicht sehr große Geschwindigkeiten wahr bleiben würde, so daß man noch die alte Dynamik unter der neuen finden würde. Wir brauchen also nicht zu bedauern, an die Prinzipien geglaubt zu haben, und, da die für die alten Formeln zu großen Geschwindigkeiten immer nur Ausnahmen sein würden, wäre es in der Anwendung sogar am sichersten, zu tun, als glaubte man immer noch daran. Sie sind so nützlich, daß ihnen ein Platz aufgehoben werden müßte. Sie ganz ausschließen wollen, hieße, sich einer wertvollen Waffe berauben. Ich füge aber zum Schluß noch ausdrücklich hinzu, daß wir noch nicht so weit sind, und daß noch durch nichts bewiesen ist, daß sie nicht siegreich und unberührt aus dem Kampf hervorgehen werden.

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BeitragVerfasst am: 10.11.2009, 18:24    Titel: Antworten mit Zitat

So wie ich dies momentan empfinde, unterscheidet sich Poincarés Zeitverständnis deutlich von dem Einsteinschen. Poincaré - als einer der letzten Notabeln unter den Ingenieurswissenschaftlern der Dritten Französischen Republik und zeitweisem Leiter des 'Bureau des Longitudes' in Paris - ist geleitet von einem ausgeprägten Konventionalismus. Der Konventionalismus betont bekanntlich, dass eine Entscheidung für eine von zwei Theorien getroffen und als Konvention angenommen werden muss, selbst dann, wenn beide Theorien gleichwertig sind.

Poincaré geht davon aus, dass die Lichtgeschwindigkeit endlich ist. Einstein natürlich auch. Doch Poincaré ist der Meinung, dass Uhren deshalb verschiedene Zeiten anzeigen, weil es Probleme mit der Uhrensynchronisation gibt. In der Tat ein grosses Problem der Belle Époque. Ein Bahnhofuhr in Berlin zeigt nicht dieselbe Zeit an wie ein baugleiche Uhr in München - von Paris oder Londen ganz zu schweigen. Und auch in Zürich steht der Zeiger für gewohnlich nicht an derselben Stelle wie in St. Moritz.

Aufgrund solcher Unterschiede (hübsch nachzulesen z.B. in "Einsteins Uhren, Poincares Karten" von Peter Galison) verliert die Zeit für Poincaré ihren absoluten Charakter, die sie bei Newton - und sogar für Lorentz - noch hatte. Fortan ist es eine Angelegenheit der Konvention, der gegenseitigen Vereinbarungen, aufgrund der endlichen Lichtgeschwindigkeit, mit der die Signale übertragen werden.

Einsteins Zeitverständnis ist ein völlig anderes. Zeit ist, was die Uhren anzeigen. Dazu benötigt man keine Konvention, sondern lediglich baugleiche Uhren. Fortan hat jedes Inertialsystem seine eigene charakteristische Zeit. Mittels der Lorentztransformation lassen sich die Uhrzeiten elegant umrechnen. So einfach ist es. Somit bestehen auch keinerlei Verpflichtungen, sich bei irgendwelchen Publikationen jemals auf Poincaré berufen zu müssen. Freund Besso reicht dazu völlig aus. Poincaré beruft sich bezüglich der neuen Mechanik zwar auch auf das Relativitätsprinzip; doch es fehlt die Einstein eigene luzide Einsicht in das Wesen von Raum und Zeit.

Gr. zg
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 10.11.2009, 20:50    Titel: Antworten mit Zitat

zeitgenosse hat Folgendes geschrieben:
Einsteins Zeitverständnis ist ein völlig anderes.


Ja und Nein. Wink Zumindest im Zusammenhang mit der Gleichzeitigkeitsdefinition ist dieses Zeitverständnis nicht so völlig anders (Philosophen streiten heute noch darüber). So betont Einstein selbst deren konventionellen Charakter: ("Über die sp. und allg. RT", 1917)

Einstein hat Folgendes geschrieben:
"Ich halte meine Definition von vorhin trotzdem aufrecht, da sie in Wahrheit gar nichts über das Licht voraussetzt. An die Definition der Gleichzeitigkeit ist nur die eine Forderung zu stellen, daß sie in jedem realen Falle eine empirische Entscheidung an die Hand gibt über das Zutreffen oder Nichtzutreffen des zu definierenden Begriffs. Daß meine Definition dies leistet, ist unbestreitbar. Daß das Licht zum Durchlaufen des Weges A — M und zum Durchlaufen der Strecke B — M dieselbe Zeit brauche, ist in Wahrheit keine Voraussetzung der Hypothese über die physikalische Natur des Lichtes, sondern eine Festsetzung, die ich nach freiem Ermessen treffen kann, um zu einer Definition der Gleichzeitigkeit zu gelangen."


Andererseits gibt es wesentliche Unterschiede zwischen Poincaré und Einstein in der physikalischen Interpretation der Koordinaten (bzw. das Zustandekommen von deren Messung). Bei Poincaré gibt's weiterhin den Rückgriff auf den Äther, sodass man zumindest prinzipiell zwischen "scheinbarer" und "wahren" Koordinaten unterscheiden kann. D.h. die Ortszeit ist ein Messfehler, da der Beobachter nicht "weiß", dass er "wirklich" bewegt ist. Bei der Längenkontraktion gilt dasselbe, wobei hier von Poincaré noch ein "externer Druck" hinzukommt, um die Längenkontraktion dynamisch-mechanisch zu erklären. Bei Einstein ergibt diese Unterscheidung keinen Sinn mehr.

zeitgenosse hat Folgendes geschrieben:
Somit bestehen auch keinerlei Verpflichtungen, sich bei irgendwelchen Publikationen jemals auf Poincaré berufen zu müssen. Freund Besso reicht dazu völlig aus.


Das kannst du nicht Ernst meinen, wenn du dir die Arbeiten von 1898, 1900, und 1904 ansiehst. (Zuzustimmen wäre dir nur, wenn es sich lediglich um Poincaré's "Wissenschaft und Hypothese" handeln würde - von dem wir wissen, dass es Einstein gelesen hat . Denn dort lässt sich Poincaré zwar auch über das Relativitätsprinzip und die Relativität von Raum und Zeit aus - aber nur sehr allgemein.)
Hingegen in den anderen Arbeiten gibt Poincaré genaue aus der lorentzschen Theorie gefolgerte Methoden an, die bis heute in der SRT verwendet werden. Der konventionelle Charakter der Gleichzeitigkeitsdefinition (1898), die Erläutern einer Uhrensynchronisationsmethode auf Basis der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit für Größen erster Ordnung in v/c (1900), kritischer Ausblick auf eine "neue Mechanik" mit c als oberster Grenze (1904). Hier hätte Einstein einen Hinweis auf Poincaré einfügen müssen - wenn er diese Arbeiten gekannt hätte.

D. h. es bleibt unbestritten, dass die RTn von Poincaré und Einstein zwar nicht von den Ergebnissen, aber vom Prinzip her höchst unterschiedlich sind (die eine Äther-dynamisch, die andere Raumzeit-kinematisch). Aber wenn Einstein von Poincaré für die Entwicklung der SRT entscheidende Methoden übernommen hätte, wäre eine Poincaŕe-Referenz unvermeidlich gewesen. Aber wir werdens wohl niemals erfahren...

Beide haben sich jedenfalls zu den RT-Leistungen des jeweils anderen ausgeschwiegen. Poincaré die letzten 7 Jahre seines Lebens (!), und Einstein die nächsten 48 Jahre (!!) bis er sich 1953 endlich aufraffte.

mfg
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zeitgenosse



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BeitragVerfasst am: 11.11.2009, 07:28    Titel: Antworten mit Zitat

dhainz hat Folgendes geschrieben:
Beide haben sich jedenfalls zu den RT-Leistungen des jeweils anderen ausgeschwiegen.


Poincaré vermittelt mir kein überzeugendes Bild zugunsten der Relativitätstheorie. Als Konventionalist lässt er deren Thesen aber zu. Seine Stärken liegen vielmehr in der Mathematik, insbesondere der Topologie, zu deren Begründer er auch zählt. So verwundert es keineswegs, dass er die Lorentztransformation von noch anhaftenden Mängeln bereinigt.

Einstein dagegen deduziert die Phänomene im Kern aus den raumzeitlichen Eigenschaften. Das ist schon ein gewichtiger Unterschied. Den eigentlichen Hintergrund liefert zwar erst Minkowski. Dieser stützt sich - wie schon zuvor Poincaré - auf die imaginäre Einheit i. Hierbei kommt wieder der Mathematiker zum Zuge - die Physiker folgen nach.

Zwischen Einsteins einstigem Professor am Polytechnikum (Ingenieursschule) und Einstein himself schien es anfangs nicht besonders gut zu harmonieren.

Minkowski zu seinem Assistenten Max Born:

Zitat:
Ach, der Einstein? Der schwänzte doch immer die Vorlesungen – dem hätte ich das gar nicht zugetraut.


Einstein war vom Weltpostulat und der pseudoeuklidischen Raumzeit zunächst alles andere als angetan uns sprach von einer "überflüssigen Gelehrsamkeit". Ein paar Jahre später pries er Minkowskis "wichtige Gedanken, ohne die die allgemeine Relativitätstheorie vielleicht in den Windeln stecken geblieben wäre".

So ändern sich persönliche Einstellungen. Von Poincaré hören wir nach 1910 nicht länger Substantielles zur sich etablierenden Relativitätstheorie. Somit ist klar, dass er im Grunde nur eine Nebenrolle in der Physikgeschichte einnahm.

Gr. zg
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 11.11.2009, 17:41    Titel: Antworten mit Zitat

zeitgenosse hat Folgendes geschrieben:
Von Poincaré hören wir nach 1910 nicht länger Substantielles zur sich etablierenden Relativitätstheorie. Somit ist klar, dass er im Grunde nur eine Nebenrolle in der Physikgeschichte einnahm.


Seine Arbeiten bis 1905 können jedenfalls nicht in die Rubrik "Nebenrolle" eingeordnet werden. Poincarés Beiträge waren ja nicht nur mathematischer Natur, sondern er ging auch physikalisch weit über Lorentz hinaus. Während Lorentz die Ortszeit noch als bloße Hilfsvariable ansah und das Relativitätsprinzip ("Theorem der korrespondierenden Zustände") auch nur als grobes Leitbild verwendete, diskutiert Poincaré ab 1900 schon den Zusammenhang der Ortszeit mit der Uhrensynchronisation und der Lichtkonstanz, und forderte bereits ab 1895 die Gültigkeit des RPs für alle Geschwindigkeiten...
Für die Zeit nach 1905 sieht es allerdings anders aus. Man beachte seine Arbeiten The New Mechanics (1908) und Die neue Mechanik (1910). Man bemerkt, dass Poincaré hier tatsächlich nicht die Einstein-Minkowski-Theorie, sondern seine eigenen Überlegungen referiert, die er im Prinzip bereits 1900 und 1904 veröffentlicht hatte.

Auch Poincaré's 1905-Arbeiten enthält keineswegs nur rein mathematische Neuheiten. Im Gegensatz zu Lorentz wird hier nämlich klar und deutlich die Gültigkeit des RP für alle Phänomene gefordert und demonstriert. Der Unterschied zu Einstein bestand also nicht im RP, sondern in der Art und Weise ihrer Begründung. Poincaré glaubte offenbar, die klassisch-elektromagnetische Grundlagen auf irgend eine Weise "dynamisch" einbinden zu müssen. Einstein hat diese Sichtweise hingegen völlig über Bord geworfen.

zeitgenosse hat Folgendes geschrieben:
Poincaré vermittelt mir kein überzeugendes Bild zugunsten der Relativitätstheorie. Als Konventionalist lässt er deren Thesen aber zu.


Man muss beachten, dass Poincaré keinewegs ein reiner "Konventionalist" vom Schlage eines Hugo Dingler war. Bei Poincaré gibt es auch starke phänomenalistisch-positivistische Züge, die oft im schroffen Gegensatz zu anderen Formulierungen standen. Siehe z.b. Elie Zahar, Poincare's Philosophy: From Conventionalism to Phenomenology (2001).
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