Über die Entstehung der Relativitätstheorie
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pauli



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BeitragVerfasst am: 16.02.2008, 17:01    Titel: Antworten mit Zitat

aus dem von El Cattivo genannten Grund, dem ich zustimme, Beitrag verschoben
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Ich



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BeitragVerfasst am: 16.02.2008, 22:33    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Dietmar,

Zitat:
Man kann es nicht besser formulieren.

Danke, dann haben wir ja schon mal klargemacht, dass wir dasselbe meinen.
Zitat:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier irgendwer die grundlegende Bedeutung dieser Leistungen für die SRT verkennt.

Nö, verkenne ich nicht - glaube ich. Die Juni 1905-Sachen sind unabhängig von Einstein, da kann man nur über Priorität streiten und nicht Plagiarismus. Hast du die Quelle online zur Hand, wo Poincaré die Lorentz-Invarianz für alle Theorien forderte? (Ich glaub's dir schon, aber Wissenschaftshistorie ist eigentlich kein Hobby von mir, deshalb verlasse ich mich gern auf andere). Die Frage bleibt natürlich: wenn er sie schon fordert, warum setzt er das nicht um? Der Schritt fehl einfach immer noch.
Zitat:
Ich bin auch der Meinung, dass sie insgesamt entscheidender waren als Einsteins.

Hmpf. Entscheidend wofür? Wenn Poincaré die Juni-Sachen nicht geschrieben hätte, hätte das nichts am Lauf der Dinge geändert. Wenn Einstein nichts geschrieben hätte, hätte immer noch jemand kommen und das Unbeobachtbare aus der Theorien rausschmeißen müssen. Nur wenn du das als irrelevant ansiehst, war Einsteins Beitrag nicht entscheidend.
Zitat:
Warum hat sich dann der Name Einsteins (und auch Lorentzs) in diesen Bereichen durchgesetzt? Ich persönlich glaube nicht an "Verschwörungen" wie gewisse französische Autoren (z.b. Leveugle). Ich denke die Antwort ist einfach: Es war großteils Poincares eigene Schuld. Er hatte die komische Eigenschaft, selbst bei eigenen Ideen oft einen anderen als "wahren" Entdecker hinzustellen. In diesem Fall war das Lorentz

Sofern ich weiß, könnte er sich wirklich die LT auch noch an die Hutschnur binden. Wenn er's nicht getan hat, mei, sehr nobel. Aber nicht das Thema. Mit Einstein sehe ich das nach wie vor anders.
Zitat:
Poincares eigene etwas komplizierte Ansichten zum Äther usw., welche auf seiner konventionalistischen Philosophie beruhten, taten ein Übriges.

Ja. Eben.
Zitat:
Jedoch hat Poincare den Namen Einstein im Zusammenhang mit der SRT nie in den Mund genommen, was schon eine Aussage für sich selbst ist.

Gute Freunde werden sie wohl nimmer. Very Happy Tut aber auch nichts zur Sache.
Jetzt kommt's:
Zitat:
Dagegen finde ich die lorentzianischen Idee, dass wir alle in einer Art Kristall leben, wo Materie als plastische Deformation auftritt und Inertialsysteme durch die LT verbunden sind, auch ohne "verinnerlichtes" oder "unverstandenes" Raumzeitkonzept eigentlich ganz akzeptabel.

Das ist doch des Pudels Kern. Wenn du den Kristall so toll findest (denk mal drüber nach was der für krasse Sachen machen kann, obwohl er vollkommen gar nicht entdeckt werden und genausogut weggelassen werden kann...), dann findest du an Einsteins Nichtkristall natürlich wenig, und schätzt seinen Beitrag entsprechend ein. Drum denke ich, dass hier die Revolution ein bisschen an dir vorübergegangen ist, und wo keine Revolution, da kein Revolutionär. Logisch.
Zitat:
Und zu den Feen und Elfen fällt mir nichts mehr ein.

Schad. Wie wär's mir Kristallen? Wink
Zitat:
Oh, ich "honoriere" sehr wohl (und habe es hier auch geschrieben) dass es einem eminenten interpretatorischen und philosophischen Unterschied zwischen den Theorien gibt. Nur die Erstellung des gesamten Formalismus scheint mir aber gegenüber einer Interpretation von größerer Bedeutung zu sein.

Na, da sind wir wieder beim Balmer. Die Formel isses nicht alleine (obwohl die auch gewürdigt werden muss und wird), zur Theorie gehört mehr. Und die SRT ist diese Theorie mit dem großen interpretatorischen und philosophischen Unterschied zur LET. Dann möge man Poincaré und Lorentz für die LET und die Trafo würdigen (was man tut) und Einstein für die SRT. Und Ende, und wir sind uns auch einig. Ab jetzt könnten wir uns streiten, warum man denn die SRT derart der LET vorzieht, dass heutzutage viel mehr von Einstein als den anderen beiden gesprochen wird. Das scheint mir eher dein Punkt zu sein.
Zitat:
Sicher geht es auch darum, aber die erste Aufgabe der Wissenschaft sollte einmal sein, überprüfbare Voraussagen zu machen. Ob diese Voraussage mit oder ohne Äther zustande kommen, ist hier einmal sekundär. Und da diese Voraussagen bei beiden Theorien die selben sind, hat Poincare wegen des Veröffentlichungsdatums gegenüber Einstein die Nase vorn.

Siehste, die beiden Theorien. Dir geht's um die, nicht um Einsteins Priorität an der SRT. Is auch ok, wir können gern mal die beiden Theorien im Vergleich diskutieren. Das würde mich schon lange brennend interessieren, weil ich dich und mich als rationale, intelligente Leute sehe (ich bin da mal nicht so mit Eigenlob) und mir zwei Dinge bis jetzt immer unverständlich geblieben sind: Warum in aller Welt umgibst du dich mit diesen seltsamen Gestalten (du weißt, was ich meine, und ich will zumindest hier niemand beleidigen) und warum findest du einen unbeobachtbaren Kristell so toll. Die erste Frage darf mir ruhig unverständlich bleiben, die zweite interessiert mich wirklich. Für mich ist das so wie Bush wählen, also musst du entweder noch Argumente haben, die ich nicht bedacht habe, oder andersrum. Mach mal einen Thresd auf mit den Vorzügen kristalliner Physik, da wär ich gern dabei.
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 17.02.2008, 11:41    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Ich,

Zitat:
Die Juni 1905-Sachen sind unabhängig von Einstein, da kann man nur über Priorität streiten und nicht Plagiarismus.


Plagiarismus sind hier auch nicht das Thema. Es geht mir hier erstmal darum, wer was wann geschrieben hat.

Zitat:
Hast du die Quelle online zur Hand, wo Poincaré die Lorentz-Invarianz für alle Theorien forderte? (Ich glaub's dir schon, aber Wissenschaftshistorie ist eigentlich kein Hobby von mir, deshalb verlasse ich mich gern auf andere). Die Frage bleibt natürlich: wenn er sie schon fordert, warum setzt er das nicht um? Der Schritt fehl einfach immer noch.


Nun, mit Bezug auf Lorentz schrieb er im Juni 1905 (wo er wieder alles auf Lorentz schieb, aber wo er im Gegensatz zu Lorentz eben auch die Wichtigkeit betonte, auch die Gravitation einzuschließen, Übersetzung nach Keswani):
But this is not all; Lorentz, in the quoted reference, has judged it necessary to complete his hypothesis by supposing that all the forces, whatever their origin, should be affected by a translation, in the same manner as the electromagnetic force, and that, consequently, the effect produced on their components by the Lorentz transformations is still defined by equations (4). It is important to examine this hypothesis more closely, and in particular to find what modifications it will oblige us to make in the aws of gravitation. This I have decided to do; I was first led to suppose that propagation of gravitation is not instantaneous, but it propagates with the velocity of light.

Und im Juli 1905, §9 (veröffentlicht Jänner 1906, englische Übersetzung hier) erläutert er dies so:
In this way Lorentz’s theory would fully explain the impossibility of detecting absolute motion, if all forces were of electromagnetic origin.
But there exist other forces to which an electromagnetic origin cannot be attributed, such as gravitation, for example. It may in fact happen, that two systems of bodies produce equivalent electromagnetic felds, i.e., exert the same action on electrified bodies and on currents, and at the same time, these two systems do not exert the same gravitational action on Newtonian masses. The gravitational field is therefore distinct from the electromagnetic field. Lorentz was obliged thereby to extend his hypothesis with the assumption that forces of any origin whatsoever, and gravitation in particular, are affected by a translation (or, if one prefers, by the Lorentz transformation) in the same manner as electromagnetic forces.


Unabhängig davon, dass Poincares Versuch rückblicken betrachtet erfolglos blieb, hatte er zumindest erkannt, dass ohne Behandlung der Gravitation das gesamt Konezept eigentlich in der Luft hängt. Doch was sagte Einstein, der vor 1907 kein Sterbenswörtchen zur Gravitation geschrieben hat? Hier schreibt er 1953 (S. 193):
'Es ist zweifellos, daB die spezielle Relativitätstheorie, wenn wir ihre Entwicklung rückschauend betrachten, im Jahre 1905 reif zur Entdeckung war. LORENTZ hatte schon erkannt, daB fur die Analyse der MAXWELLSchen Gleichungen die spater nach ihm benannte Transformation wesentlich sei, und POINCARE hat diese Erkenntnis noch vertieft. Was mich betrifft, so kannte ich nur LORENTZ bedeutendes Werk von 1895 "La theorie electromagnetique de MAXWELL" und "Versuch einer Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungenin bewegten Korpern" aber nicht LORENTZ*, spatere Arbeiten, und auch nicht die daran anschließende Untersuchung von POINGARE. In diesem Sinne war meine Arbeit von 1905 selbständig.
'Was dabei neu war, war die Erkenntnis, daB die Bedeutung der Lorentztransformation iiber den Zusammenhang mit den MAXWELLschen Gleichungen hinausging und das Wesen von Raum und Zeit im allgemeinen betraf. Auch war die Einsicht neu, daB die Lorentz-Invarianz" eine allgemeine Bedingung sei fur jede physikalische Theorie. Das war fiir mich von besonderer Wichtigkeit, weil ich schon fruher erkannt hatte, daB die MAXWELLsche Theorie die Mikrostruktur der Strahlung nicht darstelle und deshalb nicht allgemein haltbar sei .'


Nun, ob diese Informationen zu Einsteins Lekture vor 1905 richtig sind mag dahingestellt bleiben (Poincares "Wissenschaft und Hypothese" hatte er sehr wohl gelesen). Aber mögliche Plagiat-Vorwürfe werden wir hier nicht klären können. Jedoch "seine" Interpretation zum Wesen von Raum und Zeit wurde philosophisch von Poincare eigentlich auch schon 1898 vorweggenommen, aber als strenge physikalische Annahme mag sie neu gewesen sein. Aber die "neue" Erkenntnis, dass die "Lorentz-Invarianz eine allgemeine Bedingung sei für jede physikalische Theorie" sei, na ja., kein Kommentar.

Zitat:
Hmpf. Entscheidend wofür? Wenn Poincaré die Juni-Sachen nicht geschrieben hätte, hätte das nichts am Lauf der Dinge geändert. Wenn Einstein nichts geschrieben hätte, hätte immer noch jemand kommen und das Unbeobachtbare aus der Theorien rausschmeißen müssen. Nur wenn du das als irrelevant ansiehst, war Einsteins Beitrag nicht entscheidend.


Jetzt sind wir wieder am Anfang. "Das Unbeobachtbare aus der Theorien rausschmeißen" kann ich eben nicht als "epochale" Tat anerkennen.

Zitat:
Sofern ich weiß, könnte er sich wirklich die LT auch noch an die Hutschnur binden. Wenn er's nicht getan hat, mei, sehr nobel. Aber nicht das Thema. Mit Einstein sehe ich das nach wie vor anders.


Die LT weniger. Nach Larmor und Lorentz hatte die Zeittransformation die Form $t'=t/\gamma - \gamma(x-vt)v/c^2$. Ist algebraisch äquivalent zur Poincares Version und hat sogar den Vorteil, dass man ZD und LK direkt ablesen kann.Very Happy

Zitat:
Das ist doch des Pudels Kern. Wenn du den Kristall so toll findest (denk mal drüber nach was der für krasse Sachen machen kann, obwohl er vollkommen gar nicht entdeckt werden und genausogut weggelassen werden kann...), dann findest du an Einsteins Nichtkristall natürlich wenig, und schätzt seinen Beitrag entsprechend ein. Drum denke ich, dass hier die Revolution ein bisschen an dir vorübergegangen ist, und wo keine Revolution, da kein Revolutionär. Logisch.


Ja, nur ich denke ich bin objektiv genug, andere Kriterien als meine Vorliegen anwenden zu können. Und diese Kriterien habe ich genannt. Außerdem stehe ich ja nicht alleine dar. Ein anerkannter Wissenschaftshistoriker wie Scott Walter schreibt hier z.b. : "In the month of June, 1905, the theory of relativity came to light in the form of two scientific papers, one by the French mathematician Henri Poincaré (1854-1912), the other by a young patent examiner in Bern, Albert Einstein (1879-1955). The two scientists had never met, although Einstein was familiar with elements of both the science and the philosophy of Poincaré, whose name was celebrated in scientific circles." Auch Elie Zahar hat glaub ich 1999 ein Buch geschrieben, wo er Poincare’s Theorie als Relativitätstheorie vor Einstein einstuft (Muss mal nachforschen).

Zitat:
Zitat:
Sicher geht es auch darum, aber die erste Aufgabe der Wissenschaft sollte einmal sein, überprüfbare Voraussagen zu machen. Ob diese Voraussage mit oder ohne Äther zustande kommen, ist hier einmal sekundär. Und da diese Voraussagen bei beiden Theorien die selben sind, hat Poincare wegen des Veröffentlichungsdatums gegenüber Einstein die Nase vorn.

Siehste, die beiden Theorien. Dir geht's um die, nicht um Einsteins Priorität an der SRT.


Ich habe eigentlich sehr deutlich gemacht, was ich mit der a)Relativitätsäthertheorie und b) der "reinen" Relativitätstheorie meine und wieso die Entwicklungsarbeit, die Poincare/Lorentz unter a) geleistet haben, für die Entwicklung von b) wichtiger war als Interpretationen Einsteins. Wenn ich das prozentual und grob vereinfachend ausdrücken soll, würde ich schreiben:
Themenkomplex Elektrodynamik - fin-de-siecle-Physik: Lorentz/Larmor 60%, Poincaré/Abraham 30%, Einstein/Minkowski 10%
Themenkomplex Spezielle Relativitätstheorie: Poincare 70% (Relativitätsprinzip (vollständige Unauffindbarkeit des Äthers), Gruppeneigenschaft der LT, Lorentz-Kovarianz, Ortszeit durch Synchronisation, tatsächlich gemessene Raum-Zeit-Koordinaten). Einstein 30% (Neuinterpretation von Raum/Zeit, Abschaffung des Äthers, E=mc² im Rahmen des RP).

Zitat:
Is auch ok, wir können gern mal die beiden Theorien im Vergleich diskutieren. Das würde mich schon lange brennend interessieren, weil ich dich und mich als rationale, intelligente Leute sehe (ich bin da mal nicht so mit Eigenlob) und mir zwei Dinge bis jetzt immer unverständlich geblieben sind: Warum in aller Welt umgibst du dich mit diesen seltsamen Gestalten (du weißt, was ich meine, und ich will zumindest hier niemand beleidigen) und warum findest du einen unbeobachtbaren Kristell so toll. Die erste Frage darf mir ruhig unverständlich bleiben, die zweite interessiert mich wirklich. Für mich ist das so wie Bush wählen, also musst du entweder noch Argumente haben, die ich nicht bedacht habe, oder andersrum. Mach mal einen Thresd auf mit den Vorzügen kristalliner Physik, da wär ich gern dabei.


Zu a). Die Perspektive als Kritiker ist doch viel interessanter. Very Happy Und zu b.) Da hätte ich nicht viele Chancen, da ich dir in Betreff physikalische Kenntnisse um Lichtjahre unterlegen bin - und außerdem hätte ich noch den nicht gerade geringen Nachteil, dass eine lorentzianische Interpretation nur dann eine Chance hätte, wenn doch irgendwann Poincares RP verletzt würde, d.h. eine der Testtheorien im Rahmen von Robertson/Monsouri/Sexl bestätigt würde. Außer der bloßen Existenz des CMB, was leider auch keine direkte Widerlegung der Lorentz-Invarianz ist, gibts da keine experimentellen Aktivposten auf meiner Seite. Crying or Very sad

mfg
Dietmar
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 17.02.2008, 11:52    Titel: Antworten mit Zitat

PS: Könnte man den Titel dieser Diskussion nicht vielleicht von "Nexus-Magazin über Relativität" in "Prioritätsdisput zur Relativitätstheorie" oder so umbenennen?

mfg
Dietmar
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BeitragVerfasst am: 17.02.2008, 21:47    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Dietmar,

Zitat:
Jedoch "seine" Interpretation zum Wesen von Raum und Zeit wurde philosophisch von Poincare eigentlich auch schon 1898 vorweggenommen, aber als strenge physikalische Annahme mag sie neu gewesen sein. Aber die "neue" Erkenntnis, dass die "Lorentz-Invarianz eine allgemeine Bedingung sei für jede physikalische Theorie" sei, na ja., kein Kommentar.

1898 weiß ich nicht, und wenn er denselben Gedankengang 1905 Lorentz zuschreibt, dann wäre er wohl der langsamste Wissenschaftler der Welt. Er hat's ja bis einschließlich 1905 nicht gemerkt, dass er von der falschen Seite her aufzäumt. Das mit der "allgemeinen Bedingung für jede physikalische Theorie" könnten wir noch aufdröseln: Erstens kann ihm damals die von dir zitierte Passage nicht bekannt gewesen sein, zweitens geht seine Ansicht ja ein ganzes Stück weiter: statt für die Dynamik einer jeden Theorie zu fordern, dass sie den Äther unentdeckbar lassen soll, hat er ja die allgemeine Kinematik, also Raum und Zeit selbst, geändert. Die Theorien merken davon sozusagen gar nichts, das geht sie garnichts an und sie müssen auch nicht dafür Sorge tragen, dass immer irgendwelche Kräfte erfunden werden, die andere aufheben, oder "Prozessgeschwindigkeiten" angepasst werden und "Prozessverschiebungen" bei Translation im Äther auftreten. Einfach in 4 Dimensionen formulieren, und fertig. Die Lorentz-Invarianz ist in dem Sinne nicht Eigenschaft der Theorie, sondern der Raumzeit. So geht auhc die Erweiterung auf die ART: wieder merken die Theorien davon gar nichts, das geht sie überhaut nichts an, was die Raumzeit da macht. Diese Erweiterung ist überhaupt erst möglich aufgrund dieses Wechsels der Sichtweise.
Zitat:
Jetzt sind wir wieder am Anfang. "Das Unbeobachtbare aus der Theorien rausschmeißen" kann ich eben nicht als "epochale" Tat anerkennen.

Naja, ich sehe das schon verwoben mit deiner Anhängerschaft zur LET. Wie gesagt, mit der Einstein'schen Sichtweise im Hirn sehe ich überhaupt keine Möglichkeit, daran festzuhalten. Wenn du die siehst, dann reden entweder wir beide nicht von demselben, oder du hast noch unabhängige Gründe. Wie vorher schon gesagt, wenn du beides als gleichwertige Interpretationen derselben Theorie siehst, dann kanntst du gar keinen nennenswerten Beitrag Einsteins sehen. Das ist klar.
Zitat:
Zu a). Die Perspektive als Kritiker ist doch viel interessanter.

Das mag schon sein, aber als normaler Mensch kommt man in groben Konflikt mit dem Betäubungsmittelgesetz, um sie zu teilen.
Zitat:
zu b.) Da hätte ich nicht viele Chancen, da ich dir in Betreff physikalische Kenntnisse um Lichtjahre unterlegen bin - und außerdem hätte ich noch den nicht gerade geringen Nachteil, dass eine lorentzianische Interpretation nur dann eine Chance hätte, wenn doch irgendwann Poincares RP verletzt würde, d.h. eine der Testtheorien im Rahmen von Robertson/Monsouri/Sexl bestätigt würde.

Erstens glaube ich nicht, dass du irgendwo um Lichtjahre unterlegen wärst, und zweitens: du sagst genau, was ich auch sagen würde: die Lorentzianische Interpretation hätte nur dann eine Chance, wenn doch irgendwann Poincares RP verletzt würde. Dann müssten wir nicht reden, dann ist die SRT falsch und Ende. Aber eben auch: Solang dem nicht so ist, hat die LET keine Chance. Warum bei dir?
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 05.12.2008, 17:44    Titel: Palagyi Antworten mit Zitat

Ein anderer, den man in Sachen Prioritätfragen gerne benannt hat, war bekanntlich Menyert Palagyi. Ich hab mir vor einiger Zeit seine Arbeit "Neue Theorie des Raumes und der Zeit" (1901) durchgelesen (vielleicht stell ich die mal in Wikisource rein).

Die darin entwickelte "Raum-Zeitlehre" hat tatsächlich gewisse äußerliche Ähnlichkeiten mit einigen Aussagen Minkowskis (imaginäre vierte Zeitdimension it, und so was ähnliches wie Raumzeitdiagramme). Inhaltlich sind sie jedoch vollständig verschieden. Palagyi erkannte zwar, dass aufgrund der Verknüpfung von Raum und Zeit eine Änderung der Zeit auch den Raum betreffen müsste, jedoch die von ihm (nicht ausgesprochenen) Konsequenzen wären von vornherein absurd. Er hörte also genau dort auf, wo die SRT begann....

Im Grunde hat er also Newtons Raum und Zeit in eine neue Ausdrucksweise gepackt. Es wunderte mich daher nicht, dass Palagyi 1914 (neben Plagiatsvorwürfen) auch die Theorien von Einstein und Minkowski ablehnte. Nachdem Max Born schon 1914 kritisch auf Palagyi hingewiesen hat, bin ich jetzt auf die brandneue Arbeit von Hubert Goenner gestoßen, wo etwas genauer auf Palagy eingegangen ist.
On the history of geometrization of space-time.
http://arxiv.org/abs/0811.4529

Prinzipiell ist das richtig, was Goenner schreibt, jedoch müsste man doch die Frage stellen, wieso Minkowski ihn überhaupt nicht erwähnt hat - trotz unterschiedlicher Inhalte sind die verwendeten Ausdrücke dermaßen ähnlich, dass ein Einfluss kaum bestritten werden kann.

mfg
Dietmar
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 09.03.2009, 19:09    Titel: Antworten mit Zitat

Hier vielleicht ein kleiner Hinweis zur erstmaligen Verwendung des Begriffs "Relativitätstheorie". Bekanntlich (nach Miller) wurde dieser Begriff erstmals 1906 von Alfred Bucherer verwendet. Und zwar im Disskussionsteil von Plancks Arbeit: Die Kaufmannschen Messungen der Ablenkbarkeit der β-Strahlen in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Elektronen. In: Physikalische Zeitschrift. 7, 1906, S. 753-761

Dort hatte Planck den Begriff "Relativtheorie" für die "Lorentz-Einstein-Theorie" gebraucht. Und auf Seite 760 findet man neben einigen Erwähnungen der "Relativtheorie" bzw. "neueren Lorentzschen Theorie" auch tatsächlich folgenden Kommentar:

"Gegen die Einsteinsche Relativitätstheorie lassen sich gewisse Einwände erheben. Er wendet die Maxwellschen Gleichungen an, übersieht aber, dass gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nämlich die Gültigkeit des Divergenztheorems der elektrischen Kraft. "

Kein sehr schmeichelhafter Beginn dieses Begriffs Embarassed, welcher 1,5 Jahre später auch von Einstein zum ersten Mal erwähnt wird. Wink

Na, ja, Bucherer hat ja 2 Jahre später seine Meinung wieder geändert - dort gefiel ihm die "Lorentz-Einsteinsche" Theorie schon besser. Allerdings benutzt er dort wieder wie Planck den Ausdruck "Relativtheorie" für die "Lorentz-Einstein Theorie"....

mfg
Dietmar
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zeitgenosse



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BeitragVerfasst am: 10.03.2009, 14:51    Titel: Antworten mit Zitat

ebikonso hat Folgendes geschrieben:
Ist aber bei Anti-RT häufig zu beobachten, dass der Fortgang der Wissenschaft, der Diskussion untereinader und die nachfolgende Ergänzung einfach ignoriert wird.


dhainz ist nicht "Anti" und Bucherer auch nicht.

Ferner stand ein Nachsatz, nämlich:

Zitat:
Na, ja, Bucherer hat ja 2 Jahre später seine Meinung wieder geändert - dort gefiel ihm die "Lorentz-Einsteinsche" Theorie schon besser.


Somit wird doch der Kontext wieder hergestellt. Lorentz-Einstein deshalb, weil Lorentz gewisse Voraussetzungen erarbeitet hat. Später sprach man nur noch von der Relativitätstheorie Einsteins. Historisch gesehen ist das nicht völlig korrekt.

Wenn schon müsste man a) von der Lorentz-Einsteinschen Theorie und b) von der Einstein-Minkowski Theorie sprechen, zumindest im Rahmen der von der Spez. Relativitätstheorie abgesteckten Bereiche.

Im Rahmen der allg. Relativitätstheorie müsste man korrekterweise von der Einstein-Grossmann Theorie (1913), der Einstein-Besso Theorie (1914), der Einsteinschen Gravitationstheorie (1915) und den Hilbert-Einsteinschen-Feldgleichungen sprechen. Doch wer - ausser ein paar Wissenschaftshistorikern - tut so etwas schon?

Gr. zg
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 10.03.2009, 15:07    Titel: Antworten mit Zitat

ebikonso hat Folgendes geschrieben:
Bucherer hat Folgendes geschrieben:
"Gegen die Einsteinsche Relativitätstheorie lassen sich gewisse Einwände erheben. Er wendet die Maxwellschen Gleichungen an, übersieht aber, dass gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nämlich die Gültigkeit des Divergenztheorems der elektrischen Kraft. "

Dieser Einwand hat sich in den Folgejahren geklärt und meines Wissens nach spätestens in den Dirac-Gleichungen dann normal integriert.


Dass sich der Einwand erledigt hat, ergibt sich ja auch schon daraus, dass Bucherer 1908 dieses "Problem" gar nicht mehr erwähnte. Mir ging es ja nicht um den Inhalt des Einwandes selber, sondern um die "lustige" Tatsache dass der Gebrauch des Ausdrucks "Relativitätstheorie" sozusagen mit einer kritischen Bemerkung "begonnen" hat....

Zitat:
Ist aber bei Anti-RT häufig zu beobachten, dass der Fortgang der Wissenschaft, der Diskussion untereinader und die nachfolgende Ergänzung einfach ignoriert wird.


Ich verstehe jetzt nicht den Zusammenhang mit dieser Diskussion. Wer hat was ignoriert? Bucherer scheint ja dazugelernt zu haben

mfg
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BeitragVerfasst am: 15.03.2009, 22:35    Titel: Antworten mit Zitat

Wen es interessiert: Die wichtige 1904-Arbeit von Lorentz kann man sich jetzt auch in Wikisource reinziehn:

Electromagnetic phenomena in a system moving with any velocity smaller than that of light

mfg
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El Cattivo



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BeitragVerfasst am: 18.03.2009, 15:54    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Dietmar

Danke für die Mühe und Arbeit die du dir gemacht hast!

mfg
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Barney



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BeitragVerfasst am: 19.03.2009, 05:22    Titel: Antworten mit Zitat

Nonsense ... Sorry
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dhainz



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BeitragVerfasst am: 03.05.2009, 17:49    Titel: Antworten mit Zitat

Damit es nicht langweilig wird: Ein Haufen weiterer Artikel aus der Vor- als auch Nachgeschichte der SRT kann man sich nun hier ansehen bzw. runterladen (abwechselnd Englisch, Deutsch, Französisch.)

http://en.wikisource.org/wiki/Wikisource:Relativity

Besonders interessant die Arbeiten von Heaviside (1888/9) und Searle (1897) zum "Heaviside-Ellipsoid", oder der "1895-Versuch" von Lorentz, dann Lewis & Tolman die 1909 die Lichtuhr zur Darstellung der ZD einführten usw...

mfg
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BeitragVerfasst am: 16.07.2009, 16:23    Titel: Antworten mit Zitat

Ein für viele sicher wenig bekannter Vorläufer der RT war Emil Cohn. Obwohl Cohns eigene Theorie längst widerlegt ist und mit der SRT praktisch nichts zu tun hat, sind seine Aussagen zum Äther und seine (kritischen) Interpretationen der Lorentzschen Theorie zum Teil in sehr guter Übereinstimmung mit einigen Formulierungen Einsteins. Dies führte bei den Historikern natürlich zur Frage, ob Einstein die Arbeiten Cohns gelesen hat. Miller und Darrigol beispielsweise halten einen Einfluss zumindest für möglich - aber Sicheres weiß niemand. Hier ein kurzer Abriss von Cohns einschlägigen Arbeiten:

Um 1900 (Über die Gleichungen der Electrodynamik für bewegte Körper, Archives néerlandaises 5) stellte Cohn für die Optik einige Grundgleichungen auf. Hierbei deutet sich bereits sein Sparsamkeits- bzw. Ökonomieprinzip in Sachen Äther an, denn er schrieb, dass man sich aller "spekulativen Elemente" bei Fragen nach der Ruhe oder Bewegung des Äthers entkleiden müsse. Sein eigenes Modell beruhte nun auf dem ursprünglichen Modell von Lorentz (1895), d.h. mit der Ortszeit t'=t-vx/c², jedoch ohne Zeitdilatation und Längenkontraktion. Statt dieser Thesen modifizierte Cohn die Maxwellschen Gleichungen, um die negativen Ätherdriftexperimente (Michelson etc.) zu erklären. Interessant dabei ist, dass er bei dieser Gelegenheit den Begriff "Lorentz'sche Transformation" einführte. Ob später Poincaré dem Vorbild Cohns gefolgt ist, als der den Begriff Lorentz-Transformation einführte, ist nicht bekannt.

1901 (Über die Gleichungen des elektromagnetischen Feldes für bewegte Körper. Göttinger Nachrichten) erweiterte er dies auf die gesamte Elektrodynamik, wobei besonders bermerkenswert seine Aussagen zum Äther sind. Weiter dem Ökonomieprinzip folgend versuchte er jede unnotwendige Hypothese zu vermeiden - wie Ernst Mach benötigte Cohn den Atomismus nicht - ebensowenig wie den Äther. So schrieb er:

Cohn hat Folgendes geschrieben:
p. 75f: Wie Maxwell und Hertz behandeln wir ein chemisch und physikalisch homogenes Medium als ein Gebilde, welches auch elektromagnetisch in allen Punkten durch die gleichen Werthe einiger Constanten vollständig charakterisirt ist. Ein solches Medium erfüllt jedes Element unseres Raumes; es kann eine bestimmte ponderable Substanz oder auch das Vacuum sein. Daneben noch von einem „Aether" zu sprechen, werden wir vermeiden. — Wir schließen nach dem gesagten jede mechanische oder elektrische Molekularhypothese ebenso, wie jede mechanische Deutung elektromagnetischer Vorgänge aus, und verzichten damit auf alle Folgerungen, welche nur aus solchen Hypothesen fließen können. Unsere Absicht bei diesem Vorgehen ist, zu untersuchen, wie weit man den Thatsachen der Erfahrung mit einem Mindestmaß theoretischer Annahmen gerecht werden kann. Falls sich herausstellen sollte, daß in dieser Hinsicht die folgende Darstellung gegenüber den älteren einen Fortschritt bedeutet, so wird man vermuthen dürfen, daß auch speciellere Vorstellungen — sei es über den Bau der Körper, sei es über die Eigenschaften des „Aethers" — zweckmäßig an unsere Gleichungen anknüpfen werden.

p. 98f: In dem vorstehenden Abriß der Elektrodynamik haben wir uns darauf beschränkt, zu zeigen, daß sich alle Beobachtungen, welche die Abhängigkeit der elektromagnetischen Vorgänge von den wahrnehmbaren Bewegungen der Körper betreffen, in ein einfaches Gesetz zusammenfassen lassen. Dieses Gesetz, in Gleichungen formulirt, stellten wir an die Spitze unserer Betrachtungen. Aus ihm deducirten wir, was vorgehen müsse; und wir fanden unsere Deductionen durch die Erfahrung bestätigt. In dieser Darstellung ergab sich nirgends ein Anlaß, neben den ponderablen Körpern einen „Aether" einzuführen; es genügte, anzunehmen, daß sich auch in einem von Materie freien Raum elektromagnetische Energie ausbreiten könne.
Wir wollen nun nachträglich unsere Grundannahmen der Anschauung näher zu bringen suchen durch Einführung eines überall vorhandenen, die Materie durchdringenden Etwas, das wir „Aether " nennen wollen, ohne uns damit irgend eine der Vorstellungen zu eigen zu machen, welche im Lauf der Zeit mit diesem Wort verknüpft worden sind. Es ist nicht unsere Meinung, daß durch solche Bildersprache das geringste gewonnen werde bezüglich der oben abgehandelten Theorie. Aber möglicherweise kann sie einen heuristischen Werth gewinnen bei dem weiteren Ausbau dieser Theorie. Wir geben also demjenigen Theil unserer Grundannahmen, welcher sie von den Maxwell-Hertz'schen unterscheidet, nunmehr die folgende Fassung:
Ueberall ist Aether vorhanden, und überall ist er in absoluter Ruhe. Alle Geschwindigkeiten, von denen wir sprechen, sind Geschwindigkeiten relativ zum Aether. Unseren bisherigen Erfahrungen gegenüber genügt es, die Fixsterne ohne „Eigenbewegung" als ruhend gegen den Aether anzusehen.


Vom alten Äther bleibt also (fast) nur noch Bildersprache übrig. Die einzige Referenz bleiben die Fixsterne, dessen Ruhsystem man aus Anschaulichkeitsgründen als Äther bezeichnen kann (allerdings die Idee eines im gewissen Sinne bevorzugten mechanischen Bezugsystems hat Cohn keineswegs aufgegeben, siehe w.u.)

1904 (Zur Elektrodynamik bewegter Systeme, Berliner Berichte) wurde Cohn nun mit der neuen Theorie von Lorentz konfrontiert, welche er in zwei Arbeiten mit seiner eigenen verglich. Besonders interessant ist seine geradezu "relativistische" Interpretation der Lorentzschen Theorie (wobei Cohn dieser Theorie keineswegs zustimmte). Nachdem er (noch vor Poincaré!) die Lichtgeschwindigkeit als Einheit genommen hatte, schrieb er:

Cohn hat Folgendes geschrieben:
Bei Lorentz handelt es sich darum, die beiden Feldstärken E und H als Functionen der Ort und Zeit bestimmenden xyzt darzustellen. Diess geschieht durch (L1) und (L2). Das System, für das diese Gleichungen gelten, hat folgende Eigenschaften: es deformirt sich in Folge der Bewegung entsprechend (2); es verändert zugleich seine dynamischen Eigenschaften derart, wie es die Gleichungen (2) (3) (4) vereint aussagen; es wird anisotrop nach Art eines einaxigen Krystalls, wie es die Gleichungen (L'3) anzeigen. Um die Elektrodynamik dieses Systems übersichtlich darzustellen, wurden die Substitutionen (L3) und (L4) eingeführt. Die x0..t0 sind zunächst blosse Rechnungsgrössen. Sie besitzen aber zugleich eine einfache physikalische Bedeutung. Nach (2) sind x0y0z0 diejenigen Maasszahlen, welche wir an einem »ursprünglich (d.h. während der Ruhe) richtigen« Maassstab ablesen werden, nachdem er dem System eingefügt und demgemäss deformirt ist. Und nach (2) (3) (4) sind die t0 diejenigen Zeitintervalle, die uns eine »ursprünglich richtig gehende« Uhr anzeigt, nachdem sie dem System eingefügt ist und demgemäss ihren Gang verändert hat.


Während Maßstäbe schon in den einschlägigen Werken von Lorentz und Poincaré erwähnt werden, ist die Erwähnung der unterschiedlichen Gangart von Uhren neuartig. (Als einziger ist hier wohl Joseph Larmor (1897) zu nennen, der jedoch die Zeitdilatation nur im Zusammenhang mit Elektronenorbits erwähnte. Und Poincaré hatte (1900, 1904) zwar die Ortszeit der Uhren an verschiedenen Positionen, nicht jedoch deren unterschiedliche Gangart besprochen). Diese einfach physikalische Interpretation hat sich praktisch bis heute gehalten. Bemerkenswert ist auch Cohns Kritik an der Unterscheidung zwischen allgemeiner- und Ortszeit (welche auch später von Kaufmann, Einstein, etc. an der Theorie von Lorentz geübt wurde):

Cohn hat Folgendes geschrieben:
Die Lorentz'sche Deutung fordert von uns, zwischen den gemessenen Längen und Zeiten x0..t0 und den wahren x..t zu unterscheiden. Aber sie versagt uns die Mittel, die Aufgabe — selbst unter Voraussetzung idealer Messinstrumente — experimentell zu lösen. Die Lorentz'sche Elektrodynamik und Mechanik ist nur entwickelt für w = constans. Wir haben daher gar keine Möglichkeit, Strecken anders als mit den »falschen« mitbewegten Maassstäben, und Zeiten anders als mit den »falschgehenden« mitbewegten Uhren zu messen. Damit wir »richtige«, also ruhende, Instrumente zu Messungen an unserm bewegten System benutzen könnten, müsste uns eine Mechanik oder Optik gegeben sein, die nicht nur innerhalb der beiden Gebiete w = const. und w = 0 Geltung hätte, sondern aus dem einen in das andere durch das Gebiet der variabelen w hinüberleitete. — Bis auf weiteres besteht daher die Bedeutung der »wahren« Längen und Zeiten x .. t ausschliesslich darin, dass für sie die Elektrodynamik der Gleichungen (L1)(L2) gilt, zugleich mit der Mechanik, welche in den Hypothesen 1, 2, 3 ihren Ausdruck findet. Durch keine hiervon unabhängige Erfahrung können sie festgelegt werden.


Nun hatte Poincaré bereits 1900/1904 den Zusammenhang der Ortszeit mit der Lichtkonstanz erkannt. Cohn führte dies in seiner nachfolgenden Arbeit (Zur Elektrodynamik bewegter Systeme II, Berliner Berichte 1904) weiter, indem er die Ortszeit mit dem ebenso bis heute beliebten Bild der Lichtausbreitung als Kugelwelle verglich:

Cohn hat Folgendes geschrieben:
Überall, wo nicht die Ausbreitung von Strahlung selbst das Object der Messung ist, legen wir identische Zeitmomente an verschiedenen Punkten der Erdoberfläche dadurch fest, dass wir die Ausbreitung des Lichts als zeitlos behandeln. In der Optik aber definiren wir diese identischen Zeitmomente dadurch, dass wir für jedes relativ ruhende isotrope Medium eine Ausbreitung in Kugelwellen annehmen.[5] Das heisst: die »Zeit«, welche uns zur Darstellung irdischer Vorgänge thatsächlich dient, ist die »Ortszeit« t', für welche die Gleichungen I'b bis IVb gelten, — nicht die »allgemeine Zeit« t.


Cohn ist dabei der Meinung, dass die Lorentzsche Theorei tatsächlich nur solange gültig sei, insofern man Uhren auf optischem Wege synchronisiert. Benutzt man eine eine mechanischen Synchronisation, könnte dies eine Entscheidung zwischen seiner eigenen und Lorentz' Theorie erbringen.

Die einzige Erwähnung Cohns durch Einstein findet sich in seinem großen Übersichtsartikel zum RP von 1907. Umgekehrt wurde Cohn später zu einem Anhänger der SRT. Sein Buch "Physikalisches über Raum und Zeit" (1911), wo er das "Lorentz-Einsteinsche" Relativitätsprinzip beschrieb, wurde von Einstein als einziges weiterführendes Werk in einer seiner Darstellungen zur SRT (1913) folgendermaßen beschrieben: "Eine vorzügliche Darstellung des Gegenstandes enthält: Physikalisches über Raum und Zeit von E. Cohn..."
Hingegen seltsames zu Cohn und Einstein ist vom ansonsten brillianten Arnold Sommerfeld zu lesen, der (laut Fölsing) 1906 an Lorentz schrieb:

Sommerfeld hat Folgendes geschrieben:
Jetzt warten wir aber sehnlichst, dass Sie sich einmal zu dem ganzen Complex der Einstein'schen Abhandlungen äussern. So genial sie sind, so scheint mir doch in dieser unkonstruierbaren und anschauungslosen Dogmatik fast etwas Ungesundes zu liegen. Ein Engländer hätte schwerlich diese Theorie gegeben; vielleicht spricht sich hierin, ähnlich wie bei Cohn, die abstrakt-begriffliche Art des Semiten aus. Hoffentlich gelingt es Ihnen, dies geniale Begriffs-Skelett mit wirklichem physikalischen Leben zu erfüllen.


Was das "abstrakt-begriffliche" betrifft, sind zweifellos Übereinstimmungen zwischen Cohn und Einstein vorhanden. Jedoch dass Sommerfeld dies mit der "semitischen" Herkunft der beiden in Zusammenhang bringt, ist weniger erfreulich. Na, ja, wie Sommerfelds spätere wissenschaftlichen Leistungen zeigen, ist er wieder zur Besinnung gekommen...

Siehe u.a.:
http://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Cohn_%28Physiker%29 (mit allen Links zu Cohns Arbeiten).
Miller, A.I.: Albert Einstein’s special theory of relativity. Emergence (1905) and early interpretation (1905–1911), 1981
Darrigol, O.: Electrodynamics from Ampére to Einstein, 2000

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BeitragVerfasst am: 26.07.2009, 20:09    Titel: Antworten mit Zitat

Hier ein Hinweis auf die Leistungen von Lorentz bei der Beschreibung des Symmetrie der Zeitdilatation bzw. damit zusammenhängend seine Auflösung des Uhren- bzw. Zwillingsparadoxons (und zwar ganz ohne Äther).

Erstmals hat er sich 1910 bei einigen Vorlesungen darüber geäußert (Veröffentlicht wurden diese in den 20ern auf Holländisch. Englische Übersetzung 1931 im dritten Band seiner "Lectures on Theoretical Physics". Ich folge hier der Darstellung von Miller, Einstein's special theory of relativity, 1981).
Lorentz führt dort aus, dass die Symmetrie der Zeitdilatation (oder der Längenkontraktion) bei "oberflächlicher" Betrachtung zu einem "bemerkenswerten Paradoxon" führt, welches sich jedoch bei genauerer Betrachtung auflöst.
Z.b. ein Beobachter in K vergleicht eine aus seiner Sicht bewegte Uhr in k mit zwei aus seiner Sicht ruhenden Uhren. D.h. die k-Uhr wird von der ersten zur zweiten K-Uhr geschickt und geht bei der Ankunft gegenüber der zweiten K-Uhr gemäß (1) $\Delta\tau=\Delta t\sqrt{1-v^{2}/c^{2}}$ nach. Doch was passiert aus Sicht der k-Uhr? Hier müsste es ja K sein, die umgekehrt gemäß (2) $\Delta t=\Delta\tau\sqrt{1-v^{2}/c^{2}}$ nachgeht. Gleichungen 1 und 2 scheinen sich fundamental zu widersprechen. Doch Lorentz macht auf die physikalischen Voraussetzungen der Gleichungen aufmerksam: Diese kommen nämlich dann zustande, wenn ihm jeweils als "ruhend" angenommenen System eine bewegte mit zwei ruhenden Uhren verglichen wird. Das ist hier jedoch nur im K-System der Fall. (Aus Sicht von k müsste auch die Nicht-synchronität der beiden K Uhren berücksichtigt werden).
Es spricht dabei für die Größe von Lorentz, dass er obwohl er in dieser Schrift weiterhin betonte, dass ihm der Äther und eine absolute Zeit lieber sind, trotzdem die Widerspruchsfreiheit der Zeitdilatation im Rahmen der SRT aufzeigt.

Nicht bei Miller, aber dafür bei Abraham Pais, Subtle is the lord, 1982, finden wir auch Schilderungen der Vorlesungen von Lorentz in der Teylers-Stiftung (veröffentlicht 1914).
Lorentz, Das Relativitätsprinzip, 1914
Allerdings erwähnt Pais nicht dem Umstand, dass Lorentz hier das gesamte Uhren- oder Zwillingsparadoxon behandelt und auflöst. Und zwar im 4. Abschnitt des Nachtrags:
Nachtrag, 4

D.h. wieder wird eine Uhr zwischen jeder Menge ruhender Uhren bewegt, jedoch diesmal Hin- und wieder zurück.
Im K-System ist alles sehr einfach. An jedem Ort, wo sich die K'-Uhr gerade befindet, zeigt die dort befindliche K-Uhr an, dass die bewegte Uhr nachgeht - bis sie wieder am Ausgangspunkt zurückkehrt.
Im K'-System benützt Lorentz nun einfach den Dopplereffekt. Es wird dabei die ganz Zeit von der K' aus ein Lichtsignal zu K hin und zurückreflektiert und dabei die Ankunftszeiten bzw. Zeigerstellungen notiert. Daher ergibt sich, dass sowohl vor als auch nach der Umkehr (1. und 3. Periode) die K-Uhr tatsächlich langsamer läuft, jedoch während der Umkehrphase (2. Periode) sehr viel schneller. Am Ende hat tatsächlich auch aus K'-Sicht die K-Uhr einen Vorsprung.

Lorentz 1914-Arbeit ist auch aus anderen Gründen bemerkenswert. Er unterscheidet z.b. scharf (wie auch heute noch) zwischen der invarianten ("minkowskischen") Masse m und der Relativistischen Masse M. Er führt weiter aus, dass die Photonen zwar Energie und Impuls jedoch keine invariante Masse haben. Dann kommen im Rahmen der SRT nachvollziehbare Herleitungen von E=mc², Längenkontraktion, Zeitdilatation, Dopplereffekt usw.. Am Ende dann eine zustimmende Schilderung von Einsteins Entwurf-Gravitationstheorie (bekanntlich waren Lorentz und Ehrenfest für lange Zeit so ziemlich die einzigen, die Einsteins Bemühungen zur ART wirklich positiv gesehen und unterstützt haben).
Und wie in den Arbeiten von Lorentz üblich schreibt er natürlich auch (in der 2. Vorlesung), dass er den Äther (LET) lieber hat als die Relativierung von Raum und Zeit (SRT). Allerdings erklärt Lorentz gleich, dass dies für die Physiker nicht sonderlich relevant sei, denn die sind zufrieden, wenn die Berechnungen in den Systemen alle gleich ablaufen. Und er schwächt den Unterschied zwischen SRT und LET weiter ab, da der Unterschied sowieso nur erkenntnistheoretischer Art sei....Die einzige wirkliche Kritik, die er an der SRT übt lautet
Lorentz hat Folgendes geschrieben:
Schließlich muß bemerkt werden, daß in der kühnen Behauptung, daß man nie Geschwindigkeiten größer als die Lichtgeschwindigkeit beobachten wird, eine hypothetische Beschränkung des für uns Zugänglichen liegt, die nicht ohne einigen Rückhalt akzeptiert werden kann.


dem man allerdings diese Aussage aus der ersten Vorlesung entgegenstellen kann:

Lorentz hat Folgendes geschrieben:
Mehr prinzipiell trat Einstein an die Frage heran, indem er als Prinzip in den Vordergrund stellte, daß immer und unter allen Umständen die Erscheinungen in einem System unabhängig von der Translationsgeschwindigkeit sind, die es als Ganzes hat.
Es ist dies eine physikalische Hypothese, über welche schließlich die Beobachtung zu entscheiden hat. Übrigens empfiehlt sie sich schon gleich wegen ihrer Kühnheit.


Nun, Einstein war begeistert von der Lorentz-Arbeit und schrieb in seiner Rezension (Naturwissenschaften, 1914):
Einstein hat Folgendes geschrieben:
Es gibt nicht wenige Autoren, die eine vorliegende Theorie klar und übersichtlich darzustellen vermögen. Aber fast immer sieht sich der Leser einem Fertigen gegenüber; er erlebt nicht die Freude des Suchens und Findens, des lebendigen Werdens der Gedanken, er gelangt selten zu einer klaren Kenntnis der Umstände, die dazu Anlaß geben, geraden den gewählten und keinen anderen Weg zu wandeln. Bei der Lektüre des vorliegenden Werkchens dagegen erlebt der Leser die Entwickelung der Gedanken. Niemand der ernstes Interesse an dem Gegenstande hat, sollte die Lektüre des Büchleins versäumen.


So ist es.

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