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zeitgenosse
Anmeldedatum: 21.06.2006 Beiträge: 1811
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Verfasst am: 29.07.2006, 07:09 Titel: |
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[Teil 2]
Seit den Arbeiten von Oliver Heaviside war bekannt, dass nach der Maxwelltheorie das elektrische Feld einer bewegten Punktladung gegenüber dem einer ruhenden in Bewegungsrichtung gestaucht ist. Die Lorentzsche Elektronentheorie vermochte diese Kontraktion auch zu begründen. Die moderne Beschleunigerphysik bestätigt diesen Sachverhalt.
Elektromagnetische Wellen sollten sich im Ruhesystem des Aethers ausbreiten. Lorentz unterschied dabei zwischen der allgemeinen Zeit eines im Aether ruhend gedachten Koordinatensystems und der Ortszeit eines bewegten Koordinatensystems. In seiner Arbeit von 1904, "Elektromagnetische Erscheinungen in einem System, das sich mit beliebiger, die des Lichtes nicht erreichender Geschwindigkeit bewegt", vermochte Lorentz die allgemeine Lorentzinvarianz der elektromagnetischen Gleichungen zu belegen; seine Herleitung war aber noch mangelhaft. Die durch einen zusätzlichen Faktor bedingte räumliche Abstandsveränderung war mit der früheren Kontraktionshypohese von 1892 aber gut verträglich.
In diesem Kontext muss Lorentz als einer der vielen Väter der SRT gelten. Einstein bezeugte später, dass ihm zum Zeitpunkt der Abfassung seines Annalenbeitrages "Zur Elektrodynamik bewegter Körper" die Lorentzsche Arbeit von 1904 nicht bekannt war.
Ins Reine gebracht wurden die Lorentz'schen Transformationsgleichungen in der Folge durch Poincaré. Dessen Artikel "Sur la dynamique d'electron" wurde der Pariser Akademie der Wissenschaftena m 5. Juni 1905 vorgelegt. Einsteins Arbeit erreichte Drude (den damaligen Herausgeber der Ann. d. Phys.) am 30. Juni 1905. Dieser ersten Kurzversion Poincarés folgte im Juli desselben Jahre ein längerer Artikel, der 1906 von der Zeitschrift "Rendiconti del Circolo Matematico di Palermo" publiziert wurde.
Enthalten waren u.a.:
- das Relativitätsprinzips in voller Allgemeinheit
- der korrekter Beweis der Lorentzinvarianz der Lorentz-Maxwell-Gleichungen (hergeleitet aus einem invarianten Wirkungsprinzip)
- der Beweis, dass die Lorentz-Transformationen zusammen mit den räumlichen Drehungen eine Gruppe bilden (die Poincaré als erster Lorentzgruppe nennt)
- der Beweis der Lorentzinvarianz des Linienelements
- die Ableitung des richtigen Kompositionsgesetzes für Geschwindigkeiten (was bei Lorentz noch inkonsistent war).
Ein erheblicher Teil dieser zweiten Arbeit war der Frage gewidmet, ob man die Fitzgerald-Lorentz-Kontraktion dynamisch aus einem elektromagnetischen Modell des Elektrons ableiten könne. Zum Schluß ging Poincaré auch der Frage nach, wie man die Gravitation durch eine lorentzinvariante Theorie beschreiben soll und spricht in diesem Zusammenhang von "Gravitationswellen". Damit nimmt Poincaré bereits ein Thema der ART vorweg (ohne allerdings das Kovarianzprinzip ausdrücklich zu nennen). Auf diesem Wege wäre er vermutlich zu einer Theorie des statischen Gravitationsfeldes gelangt, wie Einstein 1910 auch.
Eines ist demnach für den unvoreingenommenen Leser klar:
Wenn Poincaré in den Ann. d. Phys. veröffentlicht hätte, wäre er zweifellos als der eigentliche Begründer der SRT in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen. So aber blieb dieser Ruhm Einstein vorbehalten.
[Fortsetzung folgt]
Gr. zg _________________ Make everything as simple as possible, but not simpler! |
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zeitgenosse
Anmeldedatum: 21.06.2006 Beiträge: 1811
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Verfasst am: 29.07.2006, 07:24 Titel: |
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[Teil 3]
Einstein geht in seinem Initialisierungsbeitrag zur SRT von 1905 aber noch einen entscheidenden Schritt über Lorentz und Poincaré hinaus, indem er die Gleichzeitigkeit von Ereignissen relativiert und der transformierten Zeit eine physikalische Bedeutung zumisst. Ein hypothetischer Lichtäther ist zur Begründung nicht erforderlich (wird aber auch nicht gänzlich verworfen). Einstein gibt als erster eine physikalisch-operationale Deutung der Lorentz-Kontraktion und Zeitdilatation auf kinematischer Ebene. Darin liegen seine besonderen Verdienste.
Ihre volle Überzeugungskraft entfaltete die neue Raumzeit-Lehre erst mit deren formalen Durchdringung durch Einsteins einstigen Mathematiklehrer, Hermann Minkowski (hier schneiden sich gewissermassen Weltlinien):
"Die Anschauungen über Raum und Zeit, die ich ihnen entwickeln möchte, sind auf experimentell-physikalischem Boden erwachsen. Darin liegt ihre Stärke. Ihre Tendenz ist eine radikale. Von Stund an sollen Raum und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken, und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren ..."
(Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte 1908 in Köln)
Überraschend und ungewohnt für uns heutige Leser sprach sich Einstein Jahre später (anlässlich seiner Antrittsrede an der Univ. Leiden, 1920) vor erlauchtem Publikum deutlich für einen modifizierten Aether aus (ein Raum ohne Aether ist undenkbar), den er mit dem metrischen Feld assoziierte. Dieser neue Aether unterschied sich aber explizit von Lorentz' elektromechanischem Aether durch das fehlen jeglicher kinematischer Bezugspunkte.
Persönlich bin ich deswegen nach wie vor der Überzeugung, dass das Aetherkonzept prinzipiell richtig ist. Der Young-Fresnelsche Substanzäthers wird jedoch aufgegeben zugunsten eines an der Mikrostruktur der Raumzeit orientierten Bezugssystems, das mathematisch durch ein Skalarfeld beschreibbar ist (Aether = Skalarfeld). Um aus diesem fundamentalen Aethersystem einen verbindlichen Referenzrahmen abzuleiten, bietet sich aus pragmatischen Gründen das Wärmebad des Mikrowellenhintergrundes auf der Basis der Robertson-Walker-Metrik an.
Zu Einsteins Lebzeit war dies noch nicht möglich. Entdeckt wurde die kosmische Mikrowellenstrahlung erst 1965 durch Penzias und Wilson von den Bell-Labs. Die Gruppe um Dicke und Peebles in Princeton konnte kurz danach zeigen, dass diese Strahlung mit der von Gamow 1948 vorausgesagten Hintergrundstrahlung korreliert.
In Testtheorien zur SRT (Robertson, Sexl, Mansouri) findet ein dermassen ausgezeichnetes Referenzsystem seine natürliche Berechtigung.
Last but not least: Wie ich schon früher betonte, ist der experimentelle Nachweis einer Mikrostruktur der Raumzeit unumgänglich, um das postulierte Fundamentalsystem zu verifizieren.
Gr. zg
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Ich
Anmeldedatum: 29.06.2006 Beiträge: 624
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Verfasst am: 30.07.2006, 10:17 Titel: |
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Zitat: |
Eines ist demnach für den unvoreingenommenen Leser klar:
Wenn Poincaré in den Ann. d. Phys. veröffentlicht hätte, wäre er zweifellos als der eigentliche Begründer der SRT in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen. So aber blieb dieser Ruhm Einstein vorbehalten.
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Eins fällt mir in all deinen Beiträgen auf: du machst keinen Unterschied zwischen Lorentzscher und Einsteinscher Theorie, bezeichnest beide als SRT. Ich seh das anders, auch wenn beide dieselben Vorhersagen machen.
Poincare hat es eben nicht geschafft, die SRT aufzustellen. Er hat den letzten Schritt, die Symmtetrie der Naturgesetze anzuerkennen, genausowenig gemacht wie du ihn machen willst.
All deine Ausführungen zu Bezugssystemen und Äther finde ich auch nicht wirklich erhellend.
Du gehst doch von einem Äther aus, dem eine Geschwindigkeit zugeschrieben werden kann, oder? Sonst wäre doch das ganze Gerede vom CMB sinnlos.
Damit hat das auch nichts mehr mit Einstein zu tun, weder seiner SRT noch seinem Wort vom Äther in Leyden.
Also hast du asymmetrische Naturgesetze um eine symmetrische Welt zu beschreiben. Ich versteh nicht, warum es dir da nicht die Nackenhaare aufstellt.
Vor allem hast du nichts davon: freilich wird man früher oder später Theorien haben, die die alten ersetzen. Bevor ich mich mit solchen beschäftige müssen die aber eine Menge mehr an Vorhersage zu bieten haben als "eine Mikrostruktur der Raumzeit". Nichts davon sehe ich hier.
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zeitgenosse
Anmeldedatum: 21.06.2006 Beiträge: 1811
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Verfasst am: 31.07.2006, 19:04 Titel: |
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Ich schrieb Eins fällt mir in all deinen Beiträgen auf: du machst keinen Unterschied zwischen Lorentzscher und Einsteinscher Theorie, bezeichnest beide als SRT.
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Deine Beobachtung trifft exakt zu. Vom formalen Standpunkt gibt es ja auch keine Unterschiede. Interpretatorisch hingegen schon.
1) Interessant wird es erst mit Minkowskis pseudoeuklidischer Geometrie. Einstein selbst bekundete zunächst ja einige Mühe mit dieser vierdimensionalen Welt, schloss sich dann aber den Ausführungen seines einstigen Mathematiklehrers an.
ds^2 = x^2 + y^2 + z^2 + u^2
Wegen u^2 = ict = (sqrt-1)ct folgt daraus:
s^2 = x^2 + y^2 + z^2 - c^2 t^2
Axiomatisch ist die Minkowskigeometrie widerspruchsfrei. Liebscher hat das sehr deutlich gemacht.
Während in der den Newtonschen Bezugssystemen zugrundeliegenden Euklidischen Geometrie der Kreis zur Eichung von Weltlinien dient, ist es in der Minkowskigeometrie die Hyperbel:
F = x^2 - c^2 t^2 = 1
Diese bildet nun den Zugang zur Raumzeitwelt. Von daher ist es müssig, das Rad neu erfinden zu wollen, wie das Katscher offensichtlich versucht.
Aus der Sicht eines Bewohners der Minkowskiwelt lautet die neue Mechanik mit den Worten von Max Born:
"Nicht nur die Gesetze der Mechanik, sondern die aller Naturvorgänge, besonders die elektromagnetischen Erscheinungen, lauten vollkommen identisch in unendlich vielen, relativ zueinander gleichförmig geradlinig bewegten Bezugssystemen, die man Inertialsysteme nennt. Wenn man in jedem dieser Systeme Längen und Zeiten mit physikalisch gleichen Maßstäben und Uhren mißt, ergibt sich für eine bestimmte Länge oder Zeit in jedem System ein anderes Meßergebnis, aber diese Maße sind durch die Lorentz-Transformationen miteinander verknüpft."
2) Die Lorentzsche Sichtweise gewinnt deshalb erneut an Bedeutung, weil es heute eigentlich nicht länger um die Frage geht, ob eine Mikrostruktur der Raumzeit plausibel ist oder nicht, sondern vielmehr, ob man aus makroskopischen Beobachtungen auf eine solche folgern kann.
An sich ist der Gedanke nicht neu: Bereits Wheeler beschreibt in seiner Geometrodynamik eine Mikrostruktur, die er als "Spin-Schaum" bezeichnet. Aehnlich verfährt die Schleifengravitation mit ihren Spinnetzwerken, welche sich konzeptionell an Penrose anlehnen. Dazu wird der Kontinuumsbegriff eliminiert. Bis heute ist es aber nicht gelungen, schlüssige Experimentaldaten darüber zu gewinnen.
Sollte dies eines Tages möglich sein, wäre diese Mikrostruktur dann das gesuchte Aether-Fundamentalsystem. Weil es global ist, kann man es schlechthin als lokales Bezugssystem verwenden. Aus diesem Grunde wird man - wie bereits in Testtheorien üblich - einen damit assoziierbaren Referenzrahmen wie den CMB verwenden, um verbindliche Markungen zu setzen.
Die SRT bliebe davon nicht gänzlich unberührt. Wie schon an anderer Stelle angedeutet, hat Giovanni Amelino-Camelia eine Erweiterung der SRT vorgeschlagen, welche mit dem "invarianten Grenzwert" arbeitet:
http://arxiv.org/abs/hep-th/0012238
Was uns derzeit noch fehlt, sind schlüssige Experimente. Diese werden uns in den nächsten Jahren zweifellos beschäftigen.
Gr. zg _________________ Make everything as simple as possible, but not simpler! |
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