Skeptiker-Radar – 1/2012
Die letzte Ausgabe des Skeptiker-Radars liegt lange zurück. Genauer gesagt: 20 Monate. Höchste Zeit für eine neue Ausgabe, denn es gibt interessante Beiträge der skeptischen Blog-Gemeinde zu berichten.
Die pseudowissenschaftlichen Blender und Bauernfänger haben schon bessere Zeiten gesehen als das Jahr 2012. Nicht zuletzt aufgrund der engagierten Aufklärung und Berichterstattung skeptischer Internetmedien mussten einige bekannte Cranks und Abzocker herbe Rückschläge einstecken.
Urteile im Global-Scaling-Betrugsprozess – „ein unglaublicher Schwindel“ schreibt Andreas Grögel in seinem Blog CIMDDWC. Am 10. Februar war die Sensation perfekt. Am Landgericht Dresden verurteilte der Richter Schlüter-Staats den Erfinder der Global-Scaling-Theorie Hartmut Müller in Abwesenheit zu 53 Monaten unbedingter Haft. Durch Anlagebetrug waren Investoren um insgesamt 9 Millionen Euro geprellt worden. Müller stand mit drei weiteren Mitangeklagten der Leipziger Firma „Service, Vertrieb und Invest GmbH“ vor Gericht, die als „Finanzberater“ die Abzocke organisiert haben. Deren Chef Gerhard Steinbach hatte sich schon knapp zwei Jahre früher seiner Verantwortung durch Selbstmord entzogen. Er erhängte sich in der Nacht vom 18. zum 19. März 2010 in seiner Zelle während der Untersuchungshaft.
Hartmut Müller war der Star der Esoterikszene. 1999 begann er seine Global-Scaling-Theorie in enger Partnerschaft mit dem Ehlers-Verlag zu vermarkten. Dabei war er so erfolgreich, wie kein anderer in der Szene. Anfangs verkaufte Müller seine Theorie als Grundlage für neue Kommunikationstechnologien. „Der Kosmos als Provider“ lautete sein zugkräftiger Slogan. Mobilfunk ohne Elektrosmog und überlichtschnell wurde da versprochen. Nach und nach machte Müller seine Theorie zur Grundlage von allem. 71 Artikel hatte Müller seit 1999 bei Raum&Zeit veröffentlicht (die seinen vollen Namen enthalten). Von der Lottozahlenprognose, über Atommüllentsorgung, Melodie der Schöpfung, Global-Scaling in der Architektur, bis zur Heiltherapie mittels GS-Infrarot ist alles vertreten. Am Institut für Raum-Energie-Forschung (IREF) in Memoriam Leonard Euler bot Müller Seminare zur Ausbildung als Global-Scaling Berater. Global-Scaling als deutsches Feng Shui und das Geld dafür floss reichlich. Doch das war Müller nicht genug. Mit der von ihm in Nordzypern gegründeten GSDI Cyprus Ltd. und den Helfern der SVI-GmbH wurden in dreistester Manier mittels Schneeball-System Investoren abgezockt. Diese Gier wurde dem selbsternannten Doktor schliesslich zum Verhängnis. Die penible gerichtliche Untersuchung des Anlagebetrugs machte amtlich, was die Spatzen längst von den Dächern pfiffen: Global-Scaling ist ein reines Phantasieprodukt Müllers und entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage. Müller wartete seine Verurteilung nicht ab. Er ist seit Januar auf der Flucht.
Besonders bedenklich ist der Umstand, dass Global-Scaling auch an einigen Universitäten Einzug hielt. An der Donau-Universität Krems bestand eine Kooperation des Forschungslabors der Abteilung „Telekommunikation, Information und Medien” (TIM-Lab) mit dem IREF und Hartmut Müller. Auf den Internetseiten des TIM-Labs wurde stolz über erfolgreiche Experimente zur Datenübertragung zwischen Krems und München mittels Global-Scaling Technologie berichtet (siehe unseren Beitrag im Forum Alpha Centauri vom 5. April 2007 und den Artikel „Bizarre Forschungsblüten“ von Ulrich Berger auf derStandard.at vom 25. Oktober 2007). Das TIM-Lab fiel 2006 einer Umorganisation zum Opfer. Sein ehemaliger Leiter Dr. Erwin Bratengeyer unterstützt heute die Lehre an der Donau-Universität als Mitarbeiter des universitätseigenen E-Learning Centers.
Die Europa-Unversität Viadrina, Frankfurt (Oder) liebäugelte ebenfalls mit der Global-Scaling-Theorie. Am Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften wurde für das Wintersemester 2010 des Studienganges „Komplementäre Medizin, Kulturwissenschaft, Heilkunde“ ein Wahlpflichtfach „Energy Medicine“ angeboten. Die Vorlesungen für dieses Wahlpflichtfach sollten durch die „Deutsche Gesellschaft für Energetische- und Informationsmedizin“ (DGEIM) als externer Partner der Viadrina erfolgen. Für den Vorlesungsplan verwies die Viadrina auf die Webseite der DGEIM. Auf dieser Webseite wurde auch eine Vorlesung für Global-Scaling im Curriculum aufgelistet. Das Wahlpflichtfach „Energy Medicine“ kam jedoch nicht zustande. Laut der Stellungnahme von Prof. Harald Walach, dem Leiter des Gesundheitsinstituts der Viadrina, war das Interesse zu gering. Seiner Aussage nach sei der Verweis auf das Curriculum der DGEIM ausserdem ein Missverständnis gewesen, da es für das Interuniversitäre Kolleg für Gesundheit und Entwicklung Graz/Schloss Seggau gedacht war und nicht für das Wahlpflichtfach „Energy Medicine“. Nach der Verurteilung Müllers meinte Walach, dass Global-Scaling „vollkommener Schmarrn“ sei. Mit der DGEIM gebe es keine Zusammenarbeit mehr, denn „Schließlich will ich damit nicht meinen Ruf zerstören.“ Zufällig erfolgte kurz vor den Distanzierungen Walachs eine kritische Berichterstattung über das Angebot esoterischer Vorlesungen an der Viadrina in verschiedenen Blogs, der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen und im Spiegel Online. Bernd Harder prägt im Blog der GWUP den Begriff „Hogwarts an der Oder“ für die Viadrina mit ihren esoterischen Abenteuern. Und Ulrich Berger berichtete auf „Kritisch gedacht“ in den Scienceblogs über die Herabstufung der Viadrina auf Ramschniveau durch die Hochschulstrukturkommission.
Im Artikel Edzard Ernst über „Little-H“ auf dem Blog von Psiram/EsoWatch kritisiert Prof. Edzard Ernst die Praktiken von Claus Fritzsche als gezielten Rufmord. Fritzsche berichtet auf seinen Webseiten H-Blog und CAM Media.Watch zu Themen über „Naturheilverfahren, Komplementäre Medizin sowie unkonventionelle Verfahren“. Autoren, die „Naturheilverfahren, Komplementäre Medizin sowie unkonventionelle Verfahren“ in Print- oder Online-Medien kritisieren, werden von Fritzsche auf seinen Webseiten gnadenlos an den Pranger gestellt. Prof. Ernst zählt zu seinen prominentesten Opfern. Als Reaktion auf Ernsts Artikel bei Psiram/EsoWatch kam die CAMgate-Affäre ins Rollen, die nun immer weitere Kreise zieht. Fritzsche bezeichnet sich selbst als „Freier Texter“, wird jedoch von der Naturheilmittelindustrie jährlich mit 38.000€ gesponsert (Stand 7.8.2012). Fritzsches Sponsoren, öffentlich mit seinen unsauberen Praktiken konfrontiert, gingen auf Distanz. Als erstes stellte die Firma WELEDA am 9. Juli ihr Sponsoring ein und am 25. Juli folgte die „Deutsche Homöopathie-Union“ (DHU). Beide sind auch nicht mehr auf Fritzsches CAM Media.Watch gelistet.
Als pikantes Detail findet sich im wissenschaftlichen Beirat von CAM Media.Watch unter anderen auch Univ. Prof. Dr. Dr. phil. Harald Walach. Naheliegend, dass Fritzsche die Distanzierung Walachs von der DGEIM und der Global-Scaling-Theorie medial unterstützt.
Der immer lesenswerte Blog der GWUP berichtet im Beitrag „Dumm wie Ein-Stein?“ über die neueste Aktion der Krawallbloggerin Jocelyne Lopez, Ekkehard Friebe („Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, …“) und der anonymen Autorengruppe GOM. Wieder einmal werden in einem offenen Brief 40 deutsche Redaktionen mit dem ewig gleichen Unfug belästigt, die angebliche Unterdrückung der Kritik der Relativitätstheorie zu beenden. Insidern ist das GOM-Projekt „Über die absolute Größe der Speziellen Relativitätstheorie“ wohlbekannt. Wer die Ankündigung des offenen Briefes auf dem Blog von Jocelyne Lopez lesen wollte, musste jedoch Geduld aufbringen. Ihr Blog war nur sporadisch online, denn Ende Juni wurde sie zuerst von ihrem Provider 1&1 und dann von HostEurope kurzerhand vor die Tür gesetzt. Derzeit werden die Webseiten von Jocelyne Lopez, Ekkehard Friebe und der Kritischen Stimmen zur Relativitätstheorie von Acenet Inc. in den USA gehostet. Offenbar wurden gegen Jocelyne Lopez gerichtliche Schritte eingeleitet. Nur so lässt sich der plötzliche Providerstaffellauf erklären. Seit 8. August ist der Blog von Jocelyne Lopez wieder online. Wie lange diesmal?
Am 7. Juli erfolgte der Neustart von EsoWatch als Psiram. Auch RelativKritisch berichtete darüber. Auf seiner Webseite Wissenschaft Brutal diffamiert Hans Weidenbusch das EsoWatch-Portal. Weidenbusch hatte schon voller Schadenfreude das Ende von EsoWatch gefeiert, als das Portal während der Umstellung für zwei Wochen nicht erreichbar war, das Rufmordportal Eselwatch jedoch schon. Eselwatch diffamiert das EsoWatch-Portal mit nahezu identischen Texten wie Hans Weidenbusch auf Wissenschaft Brutal. Neuerdings wird Eselwatch von Google blockiert, da auf der Seite von Google Schadsoftware gefunden wurde.
Eselwatch ist eines von drei speziellen anonymen Rufmordportalen. Eselwatch, Promed.Watch und GWUP.Watch widmen sich nahezu ausschliesslich der Diffamierung von EsoWatch. Besonders drei Webseitenbetreiber verweisen oft und regelmässig auf sie: Claus Fritzsche, Jocelyne Lopez und Hans Weidenbusch. Alle drei verbindet die tiefe Abneigung gegen EsoWatch.
Florian Freistetter nimmt sich gerade eine Auszeit vom Bloggen. (So richtig lassen kann er es nicht. Seit seiner Ankündigung der Auszeit am 28. Juli hat er schon wieder vier Beiträge verfasst.) Um die Pause für seine Leser zu überbrücken, bietet er Interessierten die Möglichkeit, auf seinem Blog Gastbeiträge zu veröffentlichen. Eine gute Gelegenheit für alle, die sich einmal als Blogger versuchen wollen.
Am 9. Juni 2012 fand die Gründungsveranstaltung des Vereins der Skeptiker Schweiz statt. Innerhalb kurzer Zeit wurde der Verein zur fixen Grösse in der Schweizer Skeptiker-Szene. Seit kurzem lädt der Verein abwechselnd jeden vierten Dienstag oder jeden vierten Donnerstag eines Monats zum Treffen „Skeptics in the Pub“ ein. In entspannter Atmosphäre können sich Interessierte über die Arbeit des Vereins zu informieren.
RelativKritisch freut sich über jeden Hinweis auf Seiten, die wir übersehen haben, und die es lohnen im Skeptiker-Radar erwähnt zu werden. Die Auswahl ist dabei nicht allein auf deutschsprachige Quellen beschränkt. Vorschläge bitte als Kommentar schreiben oder direkt per Mail an webmaster (at) relativ-kritisch (dot) net zusenden. Einen sehr umfangreichen Überblick über die diversen skeptischen Blogs bietet neuerdings der Meta-Blog „The SKEPTATOR“. Seit Juni werden dort Neuerscheinungen in der Skeptikerszene präsentiert. Ein weiterer wichtiger Schritt um die Vernetzung der Skeptiker voranzutreiben und deren Arbeit einer breiten Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen.
- Diskutiere über das Skeptiker-Radar 1/2012 im Forum Alpha Centauri!
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