FAIR – Darmstadt beschleunigt
Neun Staaten haben am 4. Oktober 2010 in Wiesbaden das Abkommen über die Errichtung und den gemeinsamen Betrieb des Beschleunigerzentrums FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) unterzeichnet, das am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt entstehen wird. FAIR ist eines der grössten Forschungsvorhaben und eines der komplexesten Beschleunigerzentren weltweit. Mit der Unterzeichnung des Abkommens sind nun alle Weichen zu dessen Realisierung gestellt. Von den Kosten von rund einer Milliarde Euro trägt Deutschland knapp drei Viertel, das Bundesland Hessen übernimmt davon 90 Millionen Euro. Die restliche Finanzierung tragen die internationalen Partnerstaaten. Darunter ist Russland das strategische Schwergewicht, das 178 Millionen Euro bereitstellt. Die Planung sieht vor, ab dem Jahr 2017 Ionenstrahlen mit bisher unerreichter Intensität und Qualität zu erzeugen, die völlig neue Einblicke in offene wissenschaftliche Fragestellungen ermöglichen.
FAIR wird die traditionellen Forschungsschwerpunkte der GSI vor allem im Bereich der „Struktur der Materie“ und der „Evolution des Universums“ erweitern. Die Anlage wird durch den neuen grossen Doppelringbeschleuniger (SIS100/SIS300) mit 1.100 Metern Umfang dominiert werden. An diesen schliesst sich ein hochkomplexes System von Speicherringen und Experimentierstationen an. Die bestehenden Beschleuniger des Forschungszentrums in Darmstadt werden in FAIR integriert und dienen fortan zusammen mit dem neuen Protonen-Linac als Vorbeschleuniger. Mit FAIR erhält Darmstadt eine der grössten Beschleunigeranlagen in Europa. Ein neues Rechenzentrum und die Verbauung supraleitender Magnete, die der Projektpartner Russland bereitstellt, richten das neue Zentrum für Grundlagenforschung an den letzten Standards der Technik aus.
FAIR ist mit dieser Auslegung aber längst nicht nur ein kleiner Bruder des Large Hadron Collider (LHC) in Genf. Horst Stöcker, wissenschaftlicher Geschäftsführer des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, bringt den Unterschied auf den Punkt:
In Genf werden die leichtesten Teilchen überhaupt, Wasserstoffprotonen, aufeinander geschossen. FAIR dagegen beschleunigt die Fettsäcke, Schwerionen. Da wir mit den vergleichsweise dicken Brocken hantieren, können wir die viel leichter zerlegen und umwandeln.
Während am LHC die Kollisionen von Schwerionen eher als Zusatzprogramm mit zeitlich beschränkten Fenstern implementiert wurden, sind sie bei FAIR das Arbeitspferd schlechthin. Die Ionen schwerer Elemente sollen in den neuen Detektoren mit nahezu Lichtgeschwindigkeit kollidieren. Aber auch die Erzeugung, die Speicherung und die Weiterverwendung von Antiprotonen wird mit FAIR zum Tagesgeschäft der Physiker. Je nach Konfiguration der Anlage werden unterschiedliche fundamentalphysikalische Bereiche erschlossen.
Dazu gehört die Erforschung der in unserem Universum allgegenwärtig ablaufenden Nukleosynthese schwerer Elemente jenseits der stellaren Fusion, die beim Element Eisen stoppt. FAIR wird die Prozesse im Labor nachbilden, die sonst nur bei Supernovae in Gang gesetzt werden. Das ambitionierte Panda-Experiment am Hochenergie Speichering für Antiprotonen (HESR) hat vor allem die „Starke Wechselwirkung“ im Visier, die für die Bindung der Neutronen und Protonen im Atomkern und für den Zusammenhalt der Quarks verantwortlich zeichnet.
Eine weitere Möglichkeit, die FAIR bietet, liegt in der Erzeugung von Atomkernen, die unter normalen Bedingungen auf der Erde nicht vorkommen. Die Physiker beabsichtigen so genannte Hyperkerne zu erschaffen. Bei diesen wird in einem Proton oder Neutron ein so genanntes Strange-Quark „eingebaut“, indem man ein leichtes Quark durch ein schwereres Strange-Quark ersetzt. Vom Studium solcher Hyperkerne erwarten die Kernphysiker ein besseres Verständnis der Wechselwirkung der Quarks untereinander und der Teilchen in Atomkernen.
Viele dieser exotischen Materieformen werden von verschiedenen Theorien der Starken Kraft prognostiziert, konnten bisher aber noch nie nachgewiesen werden. Deren Entdeckung wäre eine glänzende Bestätigung der theoretischen Vorhersagen. Deren Nicht-Entdeckung müsste zu einem radikalen Umdenken in Bezug auf die Starke Kraft führen.
Das CBM-Experiment hat die Entstehung der Masse und speziell die Erforschung des Phasenübergangs des Quark-Gluon-Plasma zum Ziel. Während an grossen Teilchenbeschleunigern wie dem RHIC oder dem LHC dieser Phasenübergang des QGP bei hohen Temperaturen wie kurz nach dem Urknall simuliert wird, zielt CMB auf Phasenübergänge, die bei niedrigeren Temperaturen realisiert werden und bei hohen Teilchendichten als Materiezustand im Inneren von Neutronensternen vermutet werden. FAIR wird mit der Herstellung von Kernmaterie mit sehr hoher Dichte solche exotischen Zustände im Labor möglich machen.
FAIR wird mit seinen neuen Möglichkeiten auch die bereits existierenden Experimente am GSI zur Erforschung der Plasmazustände ergänzen. In Ergänzung der bereits bestehenden Kapazitäten mit dem Phelix-Laser wird FAIR weitere Phasenübergänge von Plasma zugänglich machen. Die Erkenntnisse werden unter anderem in der Planetenforschung bei der Beschreibung der inneren Struktur schwerer Gasplaneten hilfreich sein.
FAIR wird noch ein weiteres ungemein spannendes fundamentalphysikalisches Experiment bieten. Am Neuen-Experimentier-Speicher-Ring (NESR) werden nicht nur „wasserstoffähnliche Uran-Ionen“ zur präzisen experimentellen Überprüfung der Quantenelektrodynamik bei sehr hohen elektromagnetischen Feldern vermessen. NESR wird auch die Untersuchung der „Anti-Welt“ ermöglichen. Antiprotonen werden künftig in Darmstadt vollständig abgestoppt und nach Umwandlung in neutrale Anti-Wasserstoffatome im Detail untersucht werden:
Wir werden erfahren, ob die Antiwelt sich exakt spiegelbildlich zu unserer Welt verhält, wie es vom „Standardmodell“ vorausgesagt wird – oder eben nicht. Zum Beispiel stünde ein Symmetriebruch der grundlegendsten, der „CPT-Symmetrie“, im krassen Widerspruch zu diesem Modell und würde unser physikalisches Weltbild revolutionieren. Andererseits wäre dies eine Erklärung dafür, warum kurz nach der Entstehung des Universums („Urknall“) offenbar diese Symmetrie verletzt wurde und (etwas) mehr Materie als Antimaterie entstanden bzw. übrig geblieben ist.
Spannende Physik im Herzen von Deutschland. Die Bauarbeiten zu FAIR sollen im Winter 2011/12 beginnen. Der Doppelbeschleunigerring wird in etwa 17 Meter Tiefe verlaufen. Damit ist die während der Experimente entstehende Strahlung optimal abgeschirmt. Für die notwendigen Rodungen von Baumbestand für die oberirdischen Anlagen hat die ebenfalls am 4. Oktober gegründete Betreibergesellschaft FAIR GmbH Ausgleichsmassnahmen angekündigt.
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Im Magazin Sterne und Weltraum schreiben im Dezember Karlheinz Langanke und Horst Stöcker über „Das Universum im Labor“.
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